Wege aus der Endlosschleife
Endloses Grübeln, stundenlanges Händewaschen, obsessives Zählen – Zwangsstörungen können unser Alltagsleben aus dem Gleichgewicht bringen. Ein Experte der Schlossparkklinik Dirmstein erklärt, wie solche psychischen Störungen entstehen, wie sie behandelt werden und wie Angehörige und Freunde damit umgehen sollten.
Oft sind es unscheinbare tägliche Gewohnheiten, die zum großen persönlichen Problem werden können: Wer Tag für Tag Aktenordner nach einem Schema neu ordnet, keine Treppe ohne Stufenzählen hochgehen kann oder immer wieder den abgedrehten Wasserhahn oder die verschlossene Haustür kontrolliert, der leidet eventuell an einer Zwangsstörung. Was für Außenstehende auf den ersten Blick wie eine kleine, unwesentliche Marotte wirkt, kann in Wirklichkeit das Symptom einer erheblichen psychischen Störung sein.
Nicht selten wird der Zwang zu immer wiederkehrenden, oft ritualhaften Handlungen und unerwünschten Gedanken oder Impulsen lebensbestimmend und belastend. „Die Betroffenen erleben ihr Verhalten oder ihre Gedanken als sinnlos und versuchen vergeblich Widerstand zu leisten“, erläutert Dr. Thorsten Bracher, Chefarzt der Schlossparkklinik Dirmstein. „Gleichzeitig fürchten sie vielfach, dass sie sich selbst oder anderen schaden könnten und bekommen Angst, wenn sie diese Rituale nicht ausüben.“ Experten schätzen, dass ein bis drei Prozent der Deutschen vom unkontrollierbaren Handlungsdrang und endlosen Gedankenschleifen betroffen sind – was bereits bei Kindern und Jugendlichen vorkommen kann.
Wie erkenne ich eine Zwangsstörung?
Ist mein Verhalten nur profaner Aberglaube, eine dumme Angewohnheit oder zwanghafter Drang? In den meisten Fällen ist die mehrfache Kontrolle der Haustür oder des Herds, das häufige Waschen der Hände, das wiederholte Zählen und Ordnen nur einem im Grunde nachvollziehbaren Bedürfnis nach Sicherheit, Reinlichkeit oder Ordnung geschuldet. Bis zu einem gewissen Grad gelten solche Handlungen als völlig „normal“, oft ist der Übergang zwischen Macke und behandlungsbedürftiger Störung jedoch fließend. „Zwangsstörungen festzustellen ist häufig schwierig“, erläutert der Experte. „Vielfach können die Symptome selbst Angehörigen oder Freunden über Jahre verborgen bleiben, obwohl sie den Betroffenen immer mehr zu schaffen machen, was diese oft aus Scham vor der Umwelt zu verbergen versuchen,“ so Dr. Bracher.
Welche Formen der Zwangsstörung gibt es?
Fachärzte unterteilen diese Störung in zwei Bereiche: Als Zwangshandlung bezeichnet der Experte beispielsweise den extremen Drang, sich immer wieder die Hände zu waschen, die Wohnung zu putzen oder den Herd zu kontrollieren. Oft ist es auch der Zwang, immer wieder bestimmte Dinge zu zählen (etwa Menschen und Autos auf der Straße) oder Dinge zu kontrollieren. Zwangsgedanken sind für den Betroffenen oft von quälender Intensität. Es kommen zwanghafte Ideen, bildhafte Vorstellungen oder Zwangsimpulse vor, die oft mit dem ethisch-moralischen Wertesystem des Betroffenen nicht vereinbar sind. So beispielsweise blasphemische Gedanken, Impulse sich unflätig zu äußern, die Vorstellung sexuell enthemmt oder gewalttätig zu werden oder auch ein endloses Grübeln über verschiedene Alternativen und deren Konsequenzen, was dann zu einer völligen Entscheidungsunfähigkeit führen kann.
Wann ist ärztliche Hilfe erforderlich?
„Wie der Name schon sagt, werden bei dieser Erkrankung bestimmte Gedanken, Impulse (die man zu den Gedanken zählt) oder Handlungen zum Zwang“, so Dr. Bracher. „Betroffene können sich dem nicht entziehen – obwohl ihnen meist bewusst ist, dass sie überflüssig oder sogar unsinnig sind.“ Wegen der oft befremdlichen und sozial unangemessenen Inhalte schämen sich die Betroffenen häufig dafür. Lösen die Zwangssymptome einen Leidensdruck aus und beeinträchtigen das Alltagsleben, sollte fachärztliche Hilfe gesucht werden. „Während bei leichteren Beschwerden eine ambulante Therapie genügen kann, ist bei ausgeprägten Symptomen die Behandlung in einer Fachklinik sinnvoll“, so der Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie. Dies ist konkret immer dann der Fall, „wenn unerwünschte Gedanken oder Handlungen das Leben so beeinträchtigen, dass eine normale Alltagsbewältigung nicht mehr möglich ist und ein sehr großer Leidensdruck besteht. Die Betroffenen können bei schweren Zwangssymptomen regelrecht verzweifelt und hoffnungslos sein, bis hin zu Suizidgedanken.“
Wie wird behandelt?
Bewährt hat sich insbesondere die Kognitive Verhaltenstherapie. Dabei setzt sich der Betroffene mit seinen Ängsten auseinander, lernt diese einzuordnen und damit umzugehen. Hilfreich können auch Medikamente sein – am besten in Kombination mit einer Psychotherapie. „Leider suchen viele Patienten erst dann professionelle Hilfe, wenn die Symptome bzw. Beschwerden das tägliche Leben bereits sehr belasten“, bedauert Dr. Bracher. Denn: „Bei frühzeitiger Diagnose lassen sich diese Störungen in der Regel dank Verhaltenstherapie gut behandeln.“ Ebenso übrigens wie Angsterkrankungen, Burnout und Depressionen – die drei Behandlungsschwerpunkte der Schlossparkklinik Dirmstein.
Wie kommt es zu Zwangsstörungen?
Bis heute sind die Ursachen einer Zwangsstörung nicht klar. Experten gehen davon aus, dass eine Fehlfunktion bestimmter Hirnareale und -funktionen mit Ungleichgewichten bestimmter Hirnbotenstoffe wesentlicher Auslöser ist. Aber auch genetische Veranlagung, belastende Ereignisse oder Stress scheinen bei der Entstehung dieser Erkrankung eine erhebliche Rolle zu spielen.
Wie sollten Angehörige reagieren?
„Angehörige sollten dem betroffenen Familienmitglied oder Partner dringend raten, zum Arzt zu gehen. Keinesfalls sollten sie sich aber sich auf dessen Rituale einlassen oder deren Sinn in Frage stellen“, rät Dr. Bracher. „Besser Hilfe, Verständnis und Unterstützung signalisieren.“ Dabei ist es „empfehlenswert, persönliche Grenzen aufzuzeigen und Fortschritte im Verhalten des Betroffenen zu würdigen.“