Posten bis der Arzt kommt

Das Handy als ständiger Begleiter, die Follower auch. Insbesondere bei jungen Menschen hat die Nutzung sozialer Medien in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Zudem werden die User immer jünger. Und die Jungen immer kranker: im Durchschnitt kamen die 18- bis 30-Jährigen im Kalenderjahr 2022 auf 19 Fehltage. Vor allem die Zahl der psychischen Erkrankungen hat zugenommen (+48 %)[1]. Besteht hier ein Zusammenhang? Fakt ist: Der Vergleich der eigenen Person und Lebenswelt mit den, meist geschönten Selbstdarstellungen anderer Nutzer kann das Selbstwertgefühl stark beeinträchtigen und zu Niedergeschlagenheit und gedrückter Stimmung führen. Warum ist das so?

Gesetzliches Social Media Verbot für unter-14-Jährige

Untersuchungen[2] in den USA haben gezeigt, dass die Nutzung von Social Media zu einer gestörten Selbstwahrnehmung und Depressionen führen kann. Um Jugendliche vor den negativen Folgen sozialer Netzwerke zu schützen, hat der Staat Florida ein Gesetz verabschiedet, das Jugendliche vor den negativen Folgen sozialer Netzwerke schützen soll: Teenager unter 14 Jahren dürfen ab dem 1. Januar 2025 grundsätzlich keine Nutzerkonten mehr auf Plattformen haben, die „süchtig machende“ Elemente aufweisen. Hierzu zählen zum Beispiel das unendliche Scrollen, automatisch abspielende Videos und Push-Benachrichtigungen. Dies trifft auf alle sozialen Netzwerke wie Tiktok, Facebook, Instagram und Snapchat zu. Diese müssen die Konten von Nutzern unter 14 Jahren nun schließen und alle Informationen zu diesen löschen. Selbst dann, wenn die Eltern eine Nutzung erlauben.

Social Media – Schlecht fürs Gehirn?

„Um das Jahr 2012 stürzte die geistige Gesundheit junger Menschen eine Klippe hinunter.“

(Autor und Sozialwissenschaftler Jonathan Haidt)

Jonathan Haidt, Professor an der New York University Stern School of Business, zählt vermutlich zu den großen Befürwortern der neuen Gesetzgebung. Der Sozialwissenschaftler bewirbt derzeit sein neues Buch über die Generation Z, diejenigen also, die nach 1995 geboren wurden: „Bildschirm-Kinder. Der verheerende Einfluss sozialer Medien auf die psychische Gesundheit einer ganzen Generation“. Er fürchtet, dass deren hohe Internetnutzung nicht nur zu veränderten kognitiven Fähigkeiten führen, sondern ganze Demokratien ins Wanken bringen wird.[3]

Die Ursache für die „globale Krise in der psychischen Gesundheit“ sieht Jonathan Haidt in der weitverbreiteten Nutzung von Smartphones in Kombination mit sozialen Netzwerken und der „vollständigen Umstellung von einer spielerischen Kindheit auf eine telefonbasierte Kindheit“.

In ihren frühen Teenagerjahren müssen Kinder die exekutive Funktion entwickeln, also die Fähigkeit, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Sie basiert auf neuronalen Schaltkreisen im präfrontalen Kortex, die sich während der Pubertät entwickeln. Aber 45 Prozent der amerikanischen Teenager geben an, dass sie „fast ständig“ online seien. Das heißt, wenn man sich mit ihnen unterhält, denken sie gerade über einen Beitrag nach, den sie verfasst haben, und schauen alle drei Minuten auf ihr Handy. Manche jungen Menschen sind nie ganz bei ihren Gesprächspartnern.

Panikmache oder traurige Realität?

Seit vielen Jahren wird erforscht, inwieweit die Nutzung sozialer Medien, das Wohlbefinden der Nutzenden negativ beeinflusst. Heute weiß man, dass einfache Regeln wie „lange Zeit auf den sozialen Netzwerken = niedriges Wohlbefinden“ auf die meisten Nutzer nicht zutreffen. Dennoch deuten diverse Studienergebnisse zumindest auf einen Zusammenhang mit Ängsten, schlechtem Wohlbefinden, Depressivität, Essstörungen und Stress hin. Zusätzlich stehen die sozialen Medien in Verdacht, süchtig zu machen und das Sozialverhalten zu beeinflussen.

„Neue Zahlen legen nahe, dass besonders Jugendliche suchtähnliche Verhaltensweisen entwickeln. Liken wirkt als soziale Belohnung: In Erwartung dieses positiven Gefühls kommt man immer wieder auf die Plattformen zurück.“

(Prof. Dr. Christian Montag, Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm)

Soziale Netzwerke und ihre Auswirkungen auf die Psyche

Auch die Jugendlichen selbst, bemerken im Zusammenhang mit der Nutzung Sozialer Medien negative Auswirkungen auf die Persönlichkeit. Jedoch in erster Linie bei Gleichaltrigen, weniger bei sich selbst. Hier verhält es sich interessanterweise wie auch bei vielen anderen Süchten: nur die anderen haben ein Problem, man selbst kommt klar.

Für den negativen Effekt sozialer Medien auf die Psyche vermuten Experten unter anderem folgende Ursachen:

  • Sozialer Vergleich
    Perfekte Körper, die neuesten Markenklamotten, die luxuriösesten Urlaubsziele. Es ist kaum möglich, sich auf Facebook, Instagram und Co. nicht mit anderen Menschen zu vergleichen. Dabei bilden soziale Medien keineswegs die Realität ab: fast alles, was wir dort sehen, ist gefiltert. Wer ständig mit makellosen Körpern und aufregenden Hobbies konfrontiert wird, kann stärker zu Selbstzweifeln und zu einer verzerrten Selbstwahrnehmung neigen. Das eigene Leben erscheint plötzlich langweilig und wertlos.

  • Zeitaufwand
    Die Rechnung ist einfach: Je mehr Zeit vor einem Bildschirm verbracht wird, desto weniger bleibt für das echte Leben. Soziale Kontakte, das Umsetzen von Zielen, Sport, Schlaf, kreative Hobbies, praktisch all das, was uns wirklich guttut, wird plötzlich hintenangestellt. Das hat natürlich auch negative Auswirkungen auf unsere Psyche.

  • Reizüberflutung
    Unser Gehirn besitzt nur eine begrenzte Aufnahmefähigkeit. Mit der enormen Informationsflut aus dem Internet ist es schnell überlastet. Eine Studie der Universität Wien belegt: Vor allem die Fülle audiovisueller Reize, die Internet-Videokanäle bieten, kann das Gehirn überfordern. Fühlt sich unser Gehirn überfordert, fühlen wir uns genauso. Wir geraten mental ins Ungleichgewicht: die Folge können depressive oder Burnout-Symptome und ein reduziertes Wohlbefinden sein.

  • Sucht nach Likes
    Likes, Kommentare oder Repostings geben uns ein Gefühl von Erfolg. Läuft einer unserer Posts gut an, schüttet unser Körper Glücksgefühle aus. Diese angenehme Erfahrung möchten wir wiederholen, insbesondere dann, wenn das reale Leben nur wenig positive Energiequellen bereithält. So kann schlimmstenfalls eine Sucht entstehen. Nämlich dann, wenn wir der Realität immer mehr den Rücken zudrehen, um in ihr virtuelles Pendant zu flüchten. Wenn wichtige Aspekte des Alltags, wie Schule oder Arbeit darunter leiden und Entzugserscheinungen auftreten, wenn die Nutzung nicht möglich ist, spricht man von einer Soziale-Netzwerk-Nutzungsstörung.

Fazit

Ob als Erwachsender oder Jugendlicher, für die Nutzung von Social Media sollte gelten, was sich eigentlich wie ein roter Faden durch unser gesamtes Leben zieht: viel hilft nicht immer viel. Versuchen Sie hier das richtige Maß zu finden. Für sich selbst, aber auch als Vorbild für Ihre Kinder. Es spricht – zumindest ab einem gewissen Alter – nichts dagegen, einen Instagram, Tik Tok oder Facebook Account zu haben. Wenn sich jedoch das komplette soziale Leben dort abspielt, berufliche wie private Ziele komplett aus dem Fokus geraten und bei Freizeitaktivitäten nicht mehr der perfekte Moment im Fokus steht, sondern der perfekte Post für die Selbstdarstellung priorisiert wird, dann läuft etwas gewaltig aus dem Ruder. Es kann nicht schaden, sich hin und wieder ganz eine Auszeit von sozialen Medien zu nehmen, auch das Deaktivieren von Pushnachrichten kann bereits ein wenig Druck rausnehmen. Sie bestimmen, wann es an der Zeit ist, aufs Handy zu schauen, nicht Ihr Handy! 

[1] https://www.aok.de/fk/betriebliche-gesundheit/grundlagen/fehlzeiten/ueberblick-fehlzeiten-report/

[2] https://www.pewresearch.org/short-reads/2023/04/24/teens-and-social-media-key-findings-from-pew-research-center-surveys/

[3] https://www.nzz.ch/feuilleton/interview-jonathan-haidt-covid-war-nichts-im-vergleich-zu-dem-was-wir-unseren-kindern-mit-sozialen-medien-und-smartphones-antun-ld.1824924