Eine lächelnde Depression – was soll das sein? Wer schwer an seinem Kummer trägt, der hat nichts zu lächeln. Doch manchmal trifft die Depression auf eine Person, die ein Überlebens-Motto im Laufe des Lebens tief verinnerlicht hat: Keep smiling! Dann bleibt auch eine schwere Depression zunächst verborgen hinter der Fassade eines strahlenden Lächelns.

Wie kam es zur Formulierung „Smiling Depression“?

Die Hauptsymptome einer klassischen Depression sind mittlerweile gut bekannt:

  • ständige Niedergeschlagenheit 
  • Verlust von Freude 
  • Interessenlosigkeit 
  • sozialer Rückzug 
  • Abwehr von Aufmunterungsversuchen aus dem Umfeld
  • Antriebslosigkeit und Erschöpfung, vor allem morgens

Smiling Depression ist keine Krankheitsbezeichnung. Es wird hier umgangssprachlich wie beim Begriff „Burnout“ mit einer bildhaften Formulierung auf ein noch nicht erkanntes Geschehen hingewiesen. Die Smiling Depression, professionell als Unterform einer atypischen Depression verstanden, betrifft bestimmte Persönlichkeitstypen: Diese entwickeln bei bestehender Depression nicht genannte typische Symptome, sondern andere. Bei der lächelnden Depression wird die Erkrankung hinter einer freundlichen Fassade versteckt. Die sogenannte hochfunktionale Depression gehört auch zu den atypischen Depressionen: Hier wird das Leiden mehr hinter Perfektionismus und nur nach Effizienz orientierter Alltagsgestaltung verborgen.

Allen atypischen Depressionen ist gemeinsam, dass sie für Betroffene und für die Umwelt schwer erkennbar sind. Besonders tragisch für Betroffene ist die Erfahrung, die sie eventuell machen, wenn sie ihre innere Befindlichkeit doch einmal thematisieren: Mitunter werden sie von Menschen im sozialen Umfeld und gar von professionellen Helfern nicht ernst genommen. Ein atypisch depressiver Mensch wirkt im Kontakt durchaus aktiv, zugewandt und freundlich. Wer sich nur an klassischer Depressionssymptomatik orientiert, übersieht das Drama hinter der Fassade.

Was sind typische Anzeichen einer Smiling Depression?

Diese zu erkennen und ernst zu nehmen, ist daher besonders wichtig: 

  • Starke Traurigkeit: Sie tritt vor allem abends auf. Tagsüber sorgen Aktivitäten noch für ausreichend kompensierende Ablenkung.
  • Häufiges Essen über Sättigung hinaus: Nahrung wird zur Kompensation genutzt, dämpft und macht müde.
  • Hoher Schlafbedarf: Hier ist die Kompensation die versuchte Flucht in den Schlaf.
  • Hohe Empfindlichkeit gegenüber Kritik: Dies gilt besonders dann, wenn die Kritik an der vermeintlich schützenden Fassade rüttelt.
  • Schweregefühl in Armen und Beinen

Sich selbst auf die Schliche zu kommen, ermöglicht manchmal auch ein Selbsttest.

Auch wer folgende Glaubenssätze verinnerlicht hat und nach ihnen lebt, wird seine Depression eher hinter einem Lächeln verbergen:

„Ich werde nur wegen meiner Fröhlichkeit, Leistung und Hilfsbereitschaft geliebt.“
„Ich will (und darf) mein (eventuell krankes) Umfeld nicht mit meinen Problemchen belasten.“
„Ich kann/muss mit meinen Problemen alleine klarkommen.“

Das Erkennen solcher für die eigene Gesundheit destruktiven Muster bedeutet in einem ersten Schritt, sich einem bislang komplett unbewussten Verhalten bewusst zu werden. Was uns aber bewusst ist, kann angesehen, geprüft und in ein selbstfürsorgliches Verhalten verändert werden.

Was macht die Smiling Depression so gefährlich?

Schon 2009 ergab eine deutsche Studie, dass die atypischen Depressionen, zu denen die Smiling Depression zählt, 15,3 Prozent aller Depressionen ausmacht. Die heutige Einschätzung von 15 bis 40 Prozent spiegelt gemäß der maskierten Symptomatik eine folgerichtig hoch anzunehmende Dunkelziffer nicht erkannter Fällen wider.

Die „lächelnde“ Depression ist aus drei Gründen besonders tückisch:

1.

Betroffene sind es gewohnt, ihre Symptome zu unterdrücken. Sie vertrauen sich anderen Personen gar nicht oder spät an. Eine Behandlung kommt nicht oder sehr spät zustande.

2.

Da Betroffene ihre Depression verstecken und dabei dennoch erfolgreich und glücklich wirken, erkennen auch Menschen im Umfeld die Krankheit gar nicht oder spät.

3.

Wenn eine Depression zu suizidalen Impulsen führt, schützt die bei anderen Depressionsformen übliche Kraft- und Mutlosigkeit die Betroffenen vor einer Umsetzung. Von Smiling Depression Betroffene hingegen sind oft so energiegeladen, kontrolliert und handlungsfähig, dass sie dem Impuls einer Selbsttötung nachgehen können. Umso wichtiger ist eine schnelle Behandlung. Atypische Depressive suchen allerdings oft nicht sofort klassische medizinische Hilfsangebote auf.

Wo finden Betroffene Hilfe?

Da es die Angst ist, sich mit dieser Symptomatik zu zeigen, sind anonyme und distanziertere Beratungsformen wie die Telefonseelsorge oder Chatangebote professioneller Beratungsstellen anfangs leichter anzunehmen. Manche Betroffene stoßen auch durch Artikel wie diesen erstmals auf ihr Dilemma. Sie erfahren, dass Depression kein Versagen und keine Schande ist, sondern eine behandelbare Krankheit. Depression sind außerdem ebenso verbreitet bei berühmten Menschen und Stars, die heute zunehmend darüber sprechen oder schreiben: Lady Gaga, Winston Churchill, Herman Hesse, Nicole Kidman oder Charly Chaplin, um beispielhaft einige Namen zu nennen. Das macht Mut. Angehörige, die eine Smiling Depression bei einer nahestehenden Person erahnen, können diese auf solche Zusammenhänge aufmerksam machen. 

Oft ist wichtig, Betroffenen anzubieten, sie weiter zu begleiten, etwa zu einer Praxis oder Ambulanz.  Erste Anlaufstelle sollten Hausarzt oder -ärztin sein. Diese können eine medikamentöse Erstbehandlung starten. Per Dringlichkeitscode sollte aber möglichst schnell zu einer psychiatrischen Fachpraxis überwiesen werden. Die Zuteilung eines Behandlungsplatzes erfolgt zeitnah zentral über den Patientenservice (Rufnummer 116117 deutschlandweit rund um die Uhr). Wenn es gelingt, sich jemandem anzuvertrauen und eventuell eine entlastende medikamentöse Behandlung einzuleiten, ist schon viel gewonnen. Aus dieser ersten positiven Erfahrung kann die Motivation für eine begleitende psychotherapeutische Behandlung gefördert werden.

Ausgewählte Quellen:

https://www.researchgate.net/publication/236068174_Obesity_and_Depression_an_Overview_on_the_Complex_Interactions_of_Two_Diseases

https://www.researchgate.net/publication/323877676_Haufigkeit_und_klinische_Charakteristika_von_atypisch_depressiven_Symptomen_Stationare_Patienten_mit_Major_Depression

https://www.researchgate.net/publication/256484527_Konzept_der_atypischen_Depression_und_deutsche_Ubersetzung_der_Atypical_Depression_Diagnostic_Scale_ADDS