Wer früher aufsteht, schafft mehr. Fehlenden Schlaf holt man am Wochenende wieder auf. Ein Glas Alkohol hilft beim Einschlafen. Acht Stunden Schlaf sind ideal. Stimmt das? Wir sind diesen und weiteren Mythen über das Schlafen auf den Grund gegangen.
Mythos Nr. 1 | Frühes Aufstehen macht produktiver.
Der weit verbreitete Mythos, Frühaufsteher seien produktiver und erfolgreicher, basiert auf einem Missverständnis über den Zusammenhang zwischen Schlafzeiten und Leistungsfähigkeit. Denn er ignoriert die individuellen Unterschiede im Biorhythmus sowie die Chronobiologie – also unsere innere Uhr. Jeder Mensch hat einen genetisch bestimmten Chronotyp, der angibt, zu welcher Tageszeit er am leistungsfähigsten ist. Grob lassen sich Chronotypen in Frühaufsteher (Lerchen), Abendmenschen (Nachteulen) und Mischtypen einteilen. Während Lerchen naturgemäß früh aktiv und produktiv sind, erreichen Nachteulen ihren Leistungshöhepunkt oft erst am Abend. Menschen können ihre Chronotypen nicht einfach ändern, da der Biorhythmus genetisch veranlagt ist. Das bedeutet: Nachteulen, die gezwungen sind, früh aufzustehen, bringen in der Regel schlechtere kognitive Leistungen und sind unkonzentrierter, als wenn sie zu ihrer natürlichen Wachzeit arbeiten könnten. Erzwungenes Frühaufstehen kann daher die Produktivität mindern.
Quellen: Wagner, U., et al. (2004). „Sleep Inspires Insight.“ Nature, 427(6972), 352-355. Blume, C., et al. (2020). „Effects of Sleep Loss on Creativity, Motivation, and Emotional Reactivity.“ Current Opinion in Behavioral Sciences, 33, 21–27.
Mythos Nr. 2 | Es ist möglich, weniger zu schlafen und leistungsfähig zu bleiben.
Viele Menschen glauben, dass sie nach einer gewissen Eingewöhnungszeit auch mit nur vier bis fünf Stunden Schlaf pro Nacht voll leistungsfähig seien. Was stimmt: Der Körper kann Schlafmangel kurzfristig kompensieren – auf Dauer jedoch nicht. Studien zeigen, dass die körperliche und geistige Gesundheit der meisten Menschen darunter leidet, wenn sie dauerhaft weniger als sechs bis sieben Stunden Schlaf pro Nacht bekommen. Auch wenn man sich also daran gewöhnt hat, mit weniger Schlaf auszukommen, nimmt die Leistungsfähigkeit über die Zeit ab und kognitive sowie körperliche Funktionen werden beeinträchtigt.
Quellen: Van Dongen, H. P. A., et al. (2003). „The Cumulative Cost of Additional Wakefulness: Dose-Response Effects on Neurobehavioral Functions and Sleep Physiology from Chronic Sleep Restriction and Total Sleep Deprivation.“ Sleep, 26(2), 117-126. piegel, K., et al. (1999). „Impact of Sleep Debt on Metabolic and Endocrine Function.“ The Lancet, 354(9188), 1435-1439.
Mythos Nr. 3 | Acht Stunden Schlaf sind für jeden ideal.
Wie lang die optimale Schlafdauer für jeden einzelnen ist, hängt von genetischen Faktoren sowie Alter, Lebensstil und Gesundheitszustand ab. So benötigen etwa Menschen mit einer Mutation im DEC2-Gen oft weniger Schlaf als andere. Wer also zum Beispiel sechs Stunden schläft und sich wach fühlt, macht nichts falsch. Es gibt Kurzschläfer, die nach wenigen Stunden Schlaf genauso erholt sind wie andere Menschen nach acht Stunden. Der Richtwert von sieben bis neun Stunden pro Nacht ist lediglich ein Durchschnittswert, der in zahlreichen Studien für Schlafempfehlungen herangezogen wird. Auch Langschläfer, die zehn oder mehr Stunden benötigen, um erholt in den Tag zu starten, fallen in diese Empfehlungen.
Nicht zu vergessen: Entscheidend für das Wohlbefinden ist nicht nur die Schlafdauer, sondern auch die Qualität des Schlafes. Menschen können acht Stunden schlafen und sich dennoch nicht ausgeruht fühlen, wenn der Schlaf durch äußere Einflüsse wie eine unruhige Umgebung oder durch Stress und Schlafstörungen beeinträchtigt wird.
Quellen: National Sleep Foundation. (2015). „Sleep Duration Recommendations: Methodology and Results Summary.“ Sleep Health, 1(1), 40-43. Hirshkowitz, M., et al. (2015). „National Sleep Foundation’s Sleep Time Duration Recommendations: Methodology and Results Summary.“ Sleep Health, 1(1), 40-43.
Mythos Nr. 4 | Snoozen hilft beim Wachwerden.
Viele Menschen nutzen die Schlummertaste ihres Weckeres mehrmals, um sich ein paar zusätzliche Minuten Schlaf zu gönnen. Doch tatsächlich führt das zu mehr Müdigkeit. Schlaf verläuft in Zyklen, die sich alle 90 bis 120 Minuten wiederholen – Leichtschlaf, Tiefschlaf, REM-Schlaf (Rapid Eye Movement). Kurz vor dem natürlichen Aufwachen befindet man sich oft in der leichteren Schlafphase und das Aufstehen fällt einem eigentlich nicht schwer. Klingelt jedoch der Wecker und die Snooze-Taste wird gedrückt, durchläuft der Körper erneut eine Phase des Einschlafens. Diese reicht jedoch meist nicht aus, um einen kompletten Schlafzyklus abzuschließen, sodass man sich beim wiederholten Aufwachen in einer tieferen Schlafphase befindet. Das verstärkt die Müdigkeit.
Quellen: Tassi, P., & Muzet, A. (2000). „Sleep Inertia.“ Sleep Medicine Reviews, 4(4), 341-353. Ferrara, M., & De Gennaro, L. (2001). „How Much Sleep Do We Need?“ Sleep Medicine Reviews, 5(2), 155-179.
Mythos Nr. 5 | Ein Nickerchen tagsüber ruiniert den Nachtschlaf.
Mittagsschlaf kann entgegen dem Mythos die kognitive Leistungsfähigkeit, die Wachsamkeit und die Stimmung deutlich verbessern – insbesondere bei Menschen, die unter Schlafmangel leiden. Die Dauer ist entscheidend. Ein Powernap von zehn bis 20 Minuten verbessert Energielevel, Aufmerksamkeit, Gehirnleistung und wirkt dem Mittagstief entgegen. Schläft man mittags jedoch länger als 30 Minuten, tritt der Körper in eine Tiefschlafphase ein. Das wiederum kann zu Schlafträgheit führen und man fühlt sich beim Aufwachen müde.
Quellen: Milner, C. E., & Cote, K. A. (2009). „Benefits of Napping in Healthy Adults: Impact of Nap Length, Time of Day, Age, and Experience with Napping.“ Journal of Sleep Research, 18(2), 272-281.Lovato, N., & Lack, L. (2010). „The Effects of Napping on Cognitive Functioning.“ Progress in Brain Research, 185, 155-166.
Mythos Nr. 6 | Wer nachts aufwacht, hat Schlafprobleme.
Am Ende jedes Schlafzyklus (leichter Schlaf, Tiefschlaf und REM-Schlaf) ist es normal, kurz aufzuwachen. Diese Momente treten oft nur so kurz auf, dass man sich am Morgen nicht daran erinnert. Aus evolutionsbiologischer Sicht ist das möglicherweise eine Schutzfunktion. Die Vermutung: Früher war es von Vorteil, während der Nacht immer wieder kurz aufzuwachen, um mögliche Gefahren rechtzeitig wahrzunehmen. Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit, nachts aufzuwachen. Ältere Menschen haben oft fragmentierte Schlafmuster und wachen häufiger auf, ohne dass dies auf eine Schlafstörung hindeuten muss. Veränderungen im Hormonhaushalt und die natürliche Abnahme des Tiefschlafes verkürzen die Schlafzyklen, wodurch das Aufwachen zwischen den Phasen häufiger wird. Auch Lebensstilfaktoren wie Stress, Koffein oder Alkohol können dazu führen, dass Menschen häufiger und länger wachliegen. Dies ist jedoch in den meisten Fällen kein Anzeichen für ernsthafte Schlafprobleme, sondern ein Ergebnis äußerer Einflüsse.
Quellen: Wehr, T. A. (1992). „In Short Photoperiods, Human Sleep is Biphasic.“ Journal of Sleep Research, 1(2), 103-107. Medalie, J. H., et al. (1993). „Sleep, Cognitive Performance, and Aging: Analysis of the Wisconsin Sleep Cohort Study.“ Sleep, 16(5), 446-452.
Mythos Nr. 7 | Am Wochenende lange auszuschlafen, gleicht Schlafmangel aus.
Schlafdefizite, die sich unter der Woche aufbauen, können durch zusätzlichen Schlaf am Wochenende nicht vollständig ausgeglichen werden. Im Gegenteil: Die Auswirkungen auf Schlaf-Wach-Rhythmus und Gesundheit können sogar negativ sein. Mehr Schlaf am Wochenende kann zwar kurzfristig das subjektive Gefühl von Müdigkeit lindern. Vollständige Erholung erreicht man so jedoch nicht, da der Körper die verlorenen Stunden Schlaf nicht einfach speichern oder nachholen kann.
Schlaf ist ein komplexer physiologischer Prozess und die wichtigsten Regenerationsphasen lassen sich nicht beliebig nachholen. Hinzu kommt: Der Körper hat einen natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus, auch als zirkadianer Rhythmus bekannt, der durch regelmäßige Schlafzeiten stabilisiert wird. Wer an Werktagen früh aufsteht und am Wochenende länger schläft, stört diesen Rhythmus. Das ist vergleichbar mit einem Zeitzonenwechsel. Das Ausschlafen am Wochenende signalisiert dem Körper eine neue Schlafzeit. Wenn man dann am Montagmorgen wieder früh aufstehen muss, wird dieser Rhythmus unterbrochen, was die Müdigkeit und das Einschlafen in der Nacht erschwert.
Quellen: Åkerstedt, T., et al. (2009). „Sleep Duration and Mortality: A Prospective Study of the Relationship Between Sleep Duration and Mortality in Women and Men.“ Sleep, 32(9), 1139-1146. Van Dongen, H. P. A., et al. (2003). „The Cumulative Cost of Additional Wakefulness: Dose-Response Effects on Neurobehavioral Functions and Sleep Physiology from Chronic Sleep Restriction and Total Sleep Deprivation.“ Sleep, 26(2), 117-126.
Mythos Nr. 8 | Ein Glas Alkohol hilft beim Einschlafen.
Alkohol in geringen Mengen kann eine beruhigende Wirkung auf das zentrale Nervensystem haben, die es manchen Menschen erleichtert, sich zu entspannen und schneller einzuschlafen. Diese scheinbar schlaffördernde Wirkung ist jedoch trügerisch: Alkohol beeinflusst die Schlafstruktur erheblich und führt langfristig zu einem schlechteren und weniger erholsamen Schlaf. Nachts kommt es zu häufigen Wachphasen sowie einem leichteren Schlaf. In der ersten Nachthälfte unterdrückt Alkohol die REM-Phase, die entscheidend für die Verarbeitung von Emotionen ist. Langfristig verschlechtert Alkoholkonsum also den erholsamen Tiefschlaf und kann Depressionen begünstigen.
Quellen: Ebrahim, I. O., et al. (2013). „Alcohol and Sleep I: Effects on Normal Sleep.“ Alcoholism: Clinical and Experimental Research, 37(4), 539–549.Roehrs, T., et al. (2001). „Sleep, Sleepiness, and Alcohol Use.“ Alcohol Research & Health, 25(2), 101–109.