Welche Auswirkungen Schlafmangel auf unser Leben hat, lesen Sie hier: „Gute Nacht: So beeinflusst Schlaf die Arbeitsfähigkeit“. Doch was ist eigentlich, wenn ausreichend Schlaf auch nicht hilft? Vor allem depressive Menschen sind häufig von einer chronisch erhöhten Wachheit betroffen. Sie fühlen sich schon morgens angespannt und kommen abends trotz großer Müdigkeit nur schwer zur Ruhe. Und das, obwohl sie vermeintlich lange genug schlafen.
In der Hoffnung, zu entspannen und wieder zu Kräften zu kommen, neigen Betroffene dazu, abends früher ins Bett zu gehen, morgens später aufzustehen und sich auch tagsüber hinzulegen. Oft ziehen sie sich auch zurück und vermeiden äußere Reize, wie soziale Kontakte oder anspruchsvolle Tätigkeiten. Doch obwohl sie sich vermeintlich mehr Zeit nehmen, um auszuruhen, steigt die Erschöpfung bis hin zu schweren depressiven Verstimmungen.
Bei vielen Betroffenen sind die Symptome morgens am stärksten. Sie fühlen sich nach dem Aufwachen angespannt, sind niedergeschlagen und traurig, ihnen ist übel, sie fühlen sich leer und hoffnungslos, sie grübeln, sind antriebslos und können sich nicht konzentrieren – sie stecken tief im sogenannten Morgentief. Das klingt vermeintlich harmlos, doch aus diesem herauszukommen, fällt sehr schwer. Denn selbst Alltägliches, wie Kaffeekochen oder E-Mails lesen, wird zum Kraftakt. Allein der Gedanke daran überfordert. Im Laufe des Tages verbessert sich die Kapazität für geistige und körperliche Anstrengungen dann meistens etwas. Gegen Abend jedoch kommt bei Betroffenen oft wieder die Angst vor dem nächsten Morgen zurück – ein Teufelskreis.
Schlafen, um Probleme zu vergessen
Doch warum ist ausreichend Schlaf nicht erholsam? Warum führt er zu Morgentiefs und Depressionen? Laut Studien am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München schlafen depressive Menschen anders als gesunde. Der Grund ist ein körperlicher, denn bei ihnen werden signifikant weniger Wachstumshormone ausgeschüttet. Bedeutet: Das Arousal-Level – der Aktivierungsgrad des zentralen Nervensystems – ist nachts stabil hoch. Dadurch sind sie bis zu später Stunde aktiv und wach. Gelingt es Erkrankten endlich, einzuschlafen, ist der erste Tiefschlaf in der Regel verkürzt. Schlafqualität und Erholung sinken, trotz ausreichend Schlaf.
Auch die Kortisol-Werte sind entscheidend: Betroffene haben erhöhte Werte in der zweiten Nachthälfte. Kortisol ist ein wichtiges Stresshormon, das bei Anspannung steigt und bei anschließender Entspannung sinkt. Dieser Rückkopplungsmechanismus funktioniert bei einer Depression nicht mehr. Auch wenn Betroffene also genug schlafen, spüren sie dennoch dauerhaft Stress.
Einige depressiv Erkrankte bauen durch mehr Schlaf auch eine Vermeidungsstrategie auf. Mit dieser versuchen sie, vor der Realität und den Problemen im Alltag zu flüchten. Schlafen Betroffene auch tagsüber stundenlang und verdrängen so Gedanken und Gefühle, spricht man von Hypersomnie. Das ist nicht zu unterschätzen, denn die Folgen von zu viel Schlaf können verheerend sein: erhöhtes Schlaganfallrisiko, Übergewicht, Diabetes, Alzheimer, Parkinson und Herzkrankheiten. Die gute Nachricht: Es gibt Wege, Hypersomnie zu überwinden und die Stimmung positiv beeinflussen. Zum Anklicken.
Wachtherapie
Kurzzeitiger Schlafentzug kann hilfreicher sein als mehr Schlaf. Diesen Ansatz verfolgt die Wachtherapie. Dabei muss der an einer Depression Erkrankte wach bleiben und sich beschäftigen. Ob er zu einem nächtlichen Spaziergang aufbricht oder sich mit anderen Patienten unterhält, Radio hört oder etwas spielt. Tatsächlich verspürt laut Studien mehr als die Hälfte der Patienten nach so einer Nacht eine deutliche Verbesserung ihrer Stimmungslage. Was steckt dahinter? Das Konzept beruht darauf, dass schlafhemmende körperliche Mechanismen durch Schlafentzug ausgehebelt werden. Stattdessen fahren schlaffördernde Prozesse bei aktiver Wachheit hoch.
(Sehr) frühes Aufstehen
Wer während einer Wachtherapie beispielsweise zweimal pro Woche um halb drei aufsteht, unterbricht die erhöhte Kortisolausschüttung in der zweiten Nachthälfte. Statt dem Stresshormon produziert der Körper im Wachzustand mehr stimmungsaufhellende Stoffe wie Serotonin und Tryptophan als im Schlaf. In der Folge fühlt man sich weniger erschöpft und hoffnungslos. Dieser Effekt hält jedoch nur bis zum nächsten Schlaf an. Doch der Schlafentzug zeigt den Erkrankten, dass die Depression durchbrochen werden kann. So kann es auch wieder zu erhöhter Leistung, besserem Erinnerungsvermögen und weniger Krankheitstagen kommen.
Selbstbeobachtung und Dokumentation
Mitunter kann es sein, dass sich die Stimmung der Erkrankten bessert, wenn sie in Summe etwas weniger schlafen bzw. weniger oft oder lange versuchen, im Bett einzuschlafen. Um dies besser zu beurteilen und Rückschlüsse ziehen zu können, ist es hilfreich, nach dem Aufwachen die eigene Stimmung zu dokumentieren und festzuhalten, wie viele Stunden man über den Tag hinweg geschlafen hat.
Begleitende Therapien
Eine Psychotherapie, gegebenenfalls in Kombination mit der Einnahme von Medikamenten, kann unterstützen. In der Schlossparkklinik Dirmstein werden beispielsweise neben mehrmals wöchentlich stattfindenden therapeutischen Einzel- und Gruppengesprächen ergänzende Behandlungsverfahren wie Lichttherapie und Bewegungstherapien angeboten. Wichtig: Diese Therapien sind kein Ersatz für die Wachtherapie.
Quellen: Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention, Max-Planck-Institut für Psychiatrie, Spektrum.de, Apotheken.de