Der Trugschluss, dass nur schwache Menschen Hilfe brauchen
Kommt eine psychische Erkrankung zum Ausbruch, benötigt der Betroffene professionelle Hilfe. Doch häufig wird der Hilfebedarf schon lange vor der Erkrankung abgewehrt und die Krankheit selbst schlicht verleugnet. Wenn die Krankheitseinsicht fehlt, können weder Therapeuten noch Ärzte oder gar Angehörige aktiv werden. Erst wenn der Betroffene für eine Behandlung bereit ist, kann eine psychische Erkrankung effizient behandelt werden.
Der Trugschluss, dass nur schwache Menschen Hilfe brauchen
Viele Menschen glauben, sie müssten immer stark sein und alle Herausforderungen des Lebens alleine meistern. Es geht um Selbstbestimmung und ein Selbstwertgefühl, das häufig längst nicht so ausgeprägt ist, wie der Einzelne es seinem Umfeld vermitteln möchte. Der Gedanke, Hilfe anzunehmen, wird dabei zu einer gefühlten Schwäche, die man sich eingestehen muss, um Hilfe zuzulassen. Daher ist es naheliegend, dass besonders Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl darum kämpfen, eine Fassade der Stärke aufrecht zu erhalten. Sie machen einfach weiter, bis es nicht mehr geht.
Doch es ist ein Trugschluss, dass die Annahme von Hilfe eine Schwäche sei. Tatsächlich wird das Annehmen von Hilfe von einer großen Stärke getragen: Von einer realistischen Selbstwahrnehmung, welche die eigenen Energiereserven und das persönliche Leistungsspektrum gut einzuschätzen versteht. Die Differenzierung zwischen Hilflosigkeit und der bewussten Entscheidung, Hilfe anzunehmen ist daher wichtig.
Vergleichen Sie diesen Umstand mit einem Hilfsmittel im Alltag. Wenn Sie einen Gegenstand aus einem hohen Regal nehmen wollen, den Sie durch Ihre Körpergröße alleine nicht erreichen, nehmen Sie sich eine Leiter zu Hilfe. Die Nutzung der Leiter schränkt Ihre persönliche Stärke nicht ein, sondern unterstützt Sie lediglich bei der Umsetzung Ihrer Ziele.
Falsche Selbstwahrnehmung kann gefährlich werden
Bei einer psychischen Erkrankung ist die Selbstwahrnehmung oft gestört. Menschen mit einer Depression sehen sich und ihr Umfeld meist sehr pessimistisch, während Menschen mit einer akuten Psychose Dinge an sich und ihrer Umwelt wahrnehmen, die in dieser Form nicht vorhanden sind. Ein Maniker geht vielleicht unkalkulierbare Risiken ein und bringt sich oder andere Menschen in Gefahr.
Für Außenstehende ist die Ablehnung von Hilfe daher meist nicht nachvollziehbar. Sie sehen und erkennen den Hilfebedarf mehr oder weniger klar, stehen jedoch hilflos daneben. Ein erschwerender Aspekt ist dabei das grundlegend wichtige Recht auf Selbstbestimmung: Niemand kann und darf zu einer Behandlung gezwungen werden. Doch während die nötige Behandlung eines Beinbruches selbst im Rahmen einer völlig verzerrten Selbstwahrnehmung auch dem Erkrankten einleuchtet, ist dies bei unsichtbaren Erkrankungen häufig nicht der Fall. Hier bedarf es hoher Empathie und Fingerspitzengefühl, um das Erkennen der Notwendigkeit von Hilfe, beispielsweise durch eine Therapie, an den Erkrankten zu vermitteln.
Wenn der Leidensdruck zu groß wird
Vielfach kommen Menschen erst dann zur Einsicht, dass Sie Hilfe benötigen, wenn der Leidensdruck ein unerträgliches Maß angenommen hat. Je länger der Leidensweg andauerte, desto schwieriger wird meist die Behandlung und umso komplexer auch das entwickelte Krankheitsbild.
Depressionen werden heute beispielsweise weniger über die Form differenziert als über ihren Schweregrad: Leichte Depressionen sind meist einfacher zu behandeln als eine mittelgradige oder eine schwere Depression. Der Weg zum neuen Erlernen, Hilfe anzunehmen, kann durch den Krankheitsverlauf immer länger werden.
Sinnvoll wäre entsprechend, schon viel früher mit der Selbstfürsorge zu beginnen. Lernen Sie, zu erkennen, wann sie Hilfe benötigen und welche. Ermitteln Sie selbst, wie Sie Hilfe erbitten können und schulen Sie sich selbst darin, dargebotene Hilfestellungen anzunehmen.
Denn Sie müssen nicht alles alleine schaffen – weil Sie stark genug sind, Hilfebedarf zu erkennen.
ja es gibt Selbsthilfe – Gruppen, aber dort ist die gleich Ohnmacht spüren wie hier von uns Betroffenen.
Es ist Richtig das man nicht jeden Zwangseinweisen darf, aber bei einer Psychose wo der Patient von der Krankheit
gesteuert wird, haben die Patienten gar keine Chance den weg ohne Behandlung da raus zu finden.
Es muss immer zuerst was dann passieren (Selbstgefährdung oder Fremdgefährdung) und von den familiären Katastrophen die da dazu passieren, Verschuldungen, Stigmatisierung, kein normales Familienleben mehr, …………
Warum muss man so lange zuschauen, aushalten, Kaput gehen….
Ich habe schon bei Veranstaltungen bei uns, komme aus Österreich, gleiche Gesetzgebung wie hier.
Man könnte die Personen, die alle Anzeichen haben in der Krankheit zu stecken, ich rede jetzt nur von Psychose, von einer Person die dann das Krankheitsbild diagnostiziert beobachten lassen, und dann über einen Amtsarzt einweisen.
das würde Jahre langes Leid und verringern.
Ich habe mit so vielen Patient geredet die daraus gekommen sind, aber nur mit einer Zwangseinweisung, weil sie in der Krankheit
keine selbst Einsicht hatten, um sich behandeln zu lassen, weil da die Krankheit bestimmt.
Das gleich ist mit meiner Tochter momentan, Wohnung verloren, verschuldet, auf der Straße lebend, wir als Familie am zu Grunde gehen, und dass über Jahre, weil niemand wirklich Hilft.
Man fühlt sich so von unserem Sozialstaat im Stich gelassen, jetzt wo wir mal richtig Hilfe, brauchen.
Gerade bei Psychose ist es eine Gesetzes – Lücke, in Spanien wird das änderst behandelt.
Ganz liebe Grüße und Hoffnung an die Betroffenen, da sieht man mal wie klar und einheitlich die Meinung unter uns ist, aber der Staat schaut nur zu, und wartet bis Katastrophen und Verschuldungen passieren.
Markus
Hey,mein Mann leidet unter paranoider Schizophrenie und hört dazu noch stimmen,er sagt aber die Krankheit gibt es gar nicht.aufgrund seiner Erkrankung haben wir unsere Wohnung verloren und vor fast zwei Jahren wurde unsere Tochter aus der Familie genommen und extern untergebracht aufgrund seiner extremen Ausbrüche,aber das ist ja alles nicht seine Schuld sagt er und gibt mir die Schuld an allen Problemen die er hat.wie kann ich ihn dazu bringen sich endlich behandeln zu lassen? Die letzten 3 Jahre also seit 2019/20 ist es extrem schlimm und ich weiß leider auch nicht mehr was ich tun soll und kann,es macht mich halt einfach auch psychisch sehr labil und kaputt.es ist auch einfach echt traurig zu sehen wie er immer mehr zu Grunde geht aber nicht einsieht das es diese Krankheit doch gibt und er Hilfe braucht damit man irgendwann wieder normal leben kann.
Danke das es diesen Ort hier gibt,wo ich mich einfach Mal auskotzen und vielleicht auch nützliche Hinweise kriege.
Grüße aus Berlin
Liebe Leserin,
das hört sich tatsächlich sehr belastend und einschneidend an!
Leider ist es immer wieder der Fall, dass Betroffene (in diesem Fall Ihr Ehemann) selbst kaum oder gar keine Krankheitseinsicht haben, sondern die durchaus empfundenen „Unstimmigkeiten“ im eigenen Leben dann „externalisieren“ und die Gründe außerhalb des eigenen Selbst suchen (und oft finden).
Ich finde es sehr wichtig, dass Sie sich Unterstützung von außen holen, beispielsweise über den Sozialpsychiatrischen Dienst an den Gesundheitsämtern der Bezirke und Städte. Diese bieten nicht nur oftmals einen ersten Gesprächstermin für Angehörige an, oder auch „Trialog-Gruppen“ für Angehörige, Betroffene und Professionelle, sondern machen auch Hausbesuche, um Erkrankte zuhause aufzusuchen und einen ersten Kontakt herzustellen.
Ihnen und Ihrem Mann alles Gute!
Ihre Schlossparkklinik Dirmstein
Seit vierzig Jahren ist meine Mutter psychisch krank. Vor einigen Wochen hatte sie psychotische Wahnvorstellungen und wurde nachts von Passanten desorientiert auf der Straße gefunden. Wegen Selbstgefährdung kam es zu einer Unterbringung mit richterlichem Beschluss. Wenige Tage später hatte sie in der Klinik einen Schlaganfall. Hätte sie sich vorher einmal untersuchen lassen, hätte das verhindert werden können. Aber sie war 35 Jahre nicht in ärztlicher Behandlung.
Jetzt wird sie behandelt, lässt es auch zu, solange sie unter „Aufsicht“ ist. Welch ein Leid sie in den vierzig Jahren verursacht hat: Selbstvernachlässigung in fast allen Lebensbereichen, ständig Streit und Vorwürfe an ihre Kinder, keinerlei Krankheitseinsicht. Ein Leben einfach weggeschmissen!
Das Problem ist doch oft nicht die Wartezeit wie in Ihrem Kommentar, Schlossparkkliniken, sondern wie im Artikel und in weiteren Kommentaren von Angehörigen Betroffener steht, die fehlende Krankheitseinsicht. Ich verstehe auch nicht, warum man Menschen, zu deren Krankheit es gehört, diese nicht als solche zu erkennen, nicht „zwangsweise“ geholfen werden darf. Wenn jemand einen Unfall hat und bewusstlos irgendwo liegt, wird er auch behandelt, ohne vorher gefragt zu werden. Genauso verhält es sich auch bei bestimmten psychischen Krankheiten. Aber hier werden die Betroffenen und die Angehörigen im Regen stehen gelassen. Meine Schwester befindet sich in einer solchen Situation und man kann nichts tun. Immerhin ist es ein gewisser Trost, zu lesen, dass man eben nichts tun kann. Trotzdem macht es mich so wütend, dass in unserem Land so viele Menschen einfach allein gelassen werden im Namen der vermeintlichen Selbstbestimmung. Es ist eine Schande.
den Ausführungen Anonymous vom 14. Januar 2022 kann ich nur voll und ganz zustimmen. Was nutzt alles, wenn keine Hilfe angenommen wird. Auf der anderen Seite, von wem bekommt der Angehörige Hilfe. Suche für meine erwachsene Tochter schon seit Tagen Hilfe. Entweder nicht zuständig oder keine Zeit. Leider. Was nutzt das Gesetz auf Selbstbestimmung, wenn Selbstzerstörung stattfindet. Und wegen des Gesetzes keine Behandlung erfolgen kann.
Mein Neffe (42J) ist Bipolar und lehnt seit 20 Jahren jede Hilfe ab.
Es ist fürchtbar während organische Krankheiten behandelt werden, werden psysisch kranke auf sich gestellt. Warum sollte ein Maniker zustimmen ihn mittels Medikamente aus dem Hochstimmung rausgebracht zu werden? Wenn nützt das Gesetz? Unsere Familie ist weger dieser Erkrankung auseinander gerissen. Wir sind alle Kaputt. Wemm nützt dieses Gesetz?
Lieber Leser, liebe Leserin,
leider ist es vollkommen zutreffend, dass die Behandlung psychischer Erkrankungen oft mit viel zu langen Wartezeiten einhergeht oder aus Mangel an therapeutischen Alternativen nicht leitlinienkonform geschieht. Da, wie Sie beschrieben haben, dieser Zustand die ganze Familie belastet, können Selbsthilfegruppen für Angehörige eine wertvolle Unterstützung darstellen. Fast immer benötigen nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch deren Angehörige Hilfe.
Ob bei Betroffenen der Einsatz von Medikamenten indiziert ist, hängt von vielen Gesichtspunkten ab. Darüber können wir uns an dieser Stelle kein Urteil erlauben. Optimalerweise finden Patient und Therapeut gemeinsam einen adäquaten Behandlungsweg, mit dem sich alle Beteiligten auf dem Weg zur Heilung „wohlfühlen“.
Viele Grüße und alles Gute, Ihr Schlossparkklinik-Team
Ich überlege momentan einen Facharzt für Psychiatrie aufzusuchen. Ich finde es schön, wie hier beschrieben wird, dass das Annehmen von Hilfe eher ein Zeichen von Stärke als von Schwäche ist. Das bestärkt mich.
Danke für den Beitrag zum Hilfeannehmen bei psychischem Problemen. Meine Oma hat Depression und ihr Arzt hat ihr Ergotherapie verschrieben. Ich hoffe, das wird ihr helfen. Interessant, dass Leute mit psychischen Erkrankungen und einer Psychose andere Dinge wahrnehmen.