Sonderbeitrag zu Ostern
Zwiespalt für Angehörige: Rücksichtnahme oder Forderung?
In Gedanken versunken räumt Elke die Spülmaschine aus und denkt über die kommenden Ostertage nach. Ob sie nur mit Mathilda und ohne Alexander zu den Großeltern fahren sollte? Sollte sie die ganze Eiersuche lieber zu den Großeltern verlegen? Ihre Schwiegereltern würden das vermutlich nicht verstehen, nur akzeptieren. Noch ganz in einem falschen Gesellschaftsbild gefangen, war es für ihre Schwiegereltern ohnehin schwer zu begreifen, dass ausgerechnet „IHR SOHN“ von „SOWAS“ betroffen sein soll und jetzt auch noch krank geschrieben ist. Depressionen waren doch was, dass einen starken Menschen nicht betreffen kann – schon gar nicht ihren Stolz, der so eine tolle Karriere gemacht hatte…
Elke überlegt. Sie könnte natürlich auch wie gewohnt alles zu Hause arrangieren – und wenn es ihm zu viel würde, könnte er immernoch in seinen Hobbykeller gehen. Zumindest bestünde die Chance, dass er dabei wäre. Das würde Mathilda gefallen. Zu seinen Eltern würde er ja doch nicht nachkommen. Sie schnaufte. Zu viele „könnte, würde, hätte“ bereicherten ihre Gedanken seit Alexanders Erkrankung.
„Mama?“ tönt es aus dem Wohnzimmer, kurz bevor ihre Tochter mit der Puppe im Arm im Türrahmen steht. „Was ist denn, mein Schatz?“ fragt Elke, während sie die Spülmaschine weiter ausräumt. „Wo ist Papa?“ – „Er hat sich ein wenig hingelegt. Er ist heute sehr müde.“ erwidert Elke mit einem Lächeln. Langsam kommt Mathilda auf leisen Sohlen zu ihr geschlichen und fragt flüsternd: „War ich zu laut? Habt ihr deswegen heute morgen gestritten?“
Elke schluckt und hält mitten in der Bewegung inne. Manchmal war sie es einfach leid. Sie setzt sich an den Küchentisch und holt tief Luft, bevor sie die Arme ausbreitet. „Nein, mein Hase, komm her zu mir! Der Streit hatte nichts mit dir zu tun!“ Während sich Mathilda auf ihren Schoß kuschelt, küsst Elke den blonden Schopf liebevoll und erklärt ihr: „Du bist eine ganz großartige Tochter, die sehr viel Rücksicht nimmt. Und wir sind sehr stolz auf dich!“
Mathilda lächelt sie an, drückt sie fest und springt auf, um sich ihrer Puppe zu widmen. Der blonde Zopf wackelt hin und her, als sie freudig hüpfend wieder aus der Küche verschwindet. „Viel stolzer, als du dir vorstellen kannst, meine süße, wunderbare Tochter. Das hast du nicht verdient,“ fügt sie in Gedanken hinzu, als sie Mathilda nachblickt. „Wir werden hier feiern.“ beschließt sie. Elke nimmt sich noch einen Moment der Ruhe, dann greift sie zum Telefon, um ihre Schwiegereltern zu informieren. Und diesmal würde sie Alexander fordern, zumindest zum Kaffeetrinken hinzuzukommen. Er konnte sich jetzt nicht dauerhaft auf der Erkrankung ausruhen und sie beide im Stich lassen. Wenigstens ein Weilchen sollte er sich dazu setzen, für Mathilda.
Die gleiche Situation wird von Mutter und Tochter unterschiedlich wahrgenommen. Der erkrankte Vater bleibt somit außen vor. Doch ist dies wirklich so? Vermutlich hat auch er im Nebenzimmer mitgehört…
Fortsetzung folgt…