Bei Medikamenten sind wir daran gewöhnt: Jeder Beipackzettel enthält eine mehr oder weniger lange Liste an Nebenwirkungen. Weniger bekannt ist, dass auch Gesprächstherapien unerwünschte Folgen haben können. Doch was versteht man unter einer Nebenwirkung von Psychotherapie, und welche weiteren Risiken können Gesprächstherapien mit sich bringen?
Nebenwirkungen einer Psychotherapie: Mangelnder Therapieerfolg, Kunstfehler, Risiken
In den meisten Fällen geht es Patienten nach einer Psychotherapie besser, darin ist sich die Forschung einig. Doch Studien zeigen auch, dass etwa 15 bis 25 Prozent aller Psychotherapie-Patienten keine objektiv messbaren Fortschritte erzielen. Bei etwa fünf bis zehn Prozent werden die Beschwerden nach der Behandlung sogar schlimmer. Andererseits gibt es Patienten, die durch die therapeutischen Gespräche zwar Fortschritte machen, zugleich aber auch mit unangenehmen Folgen konfrontiert werden – genau das versteht man unter einer „Nebenwirkung“ von Psychotherapie. Davon zu unterscheiden sind echte Behandlungsfehler des Therapeuten, durch die der Patient Schaden erleidet.
Vorweg: Was ist überhaupt ein Therapieerfolg?
Ob eine Bluthochdruck-Behandlung anschlägt, lässt sich relativ leicht überprüfen, indem man den Blutdruck misst. Doch wie misst man den Erfolg einer Psychotherapie? Wissenschaftliche Studien zu diesem Thema verwenden oft standardisierte Fragebögen, die man den Patienten vor und nach der Behandlung vorlegt. So untersucht man, ob und wie sehr sich die Symptome verbessert haben.
Erstaunlicherweise stimmen die Ergebnisse aber nicht immer mit der subjektiven Einschätzung der Betroffenen überein: So sind manche Patienten rückblickend mit der Behandlung zufrieden, obwohl sich ihre Symptome nicht verbessert haben, und umgekehrt. Das zeigt, wie schwierig Therapieerfolge objektiv zu definieren sind. So kann es für chronisch erkrankte Menschen mitunter ein Erfolg sein, wenn sich ihre Symptome nicht verschlechtern oder sie die Erkrankung besser zu akzeptieren lernen.
Welche Probleme können als Nebenwirkung von Psychotherapie auftreten?
Nebenwirkungen einer Psychotherapie (also zu diesem Zeitpunkt unerwünschte Wirkungen) sind – bei eng gefasster Definition – häufig: Je nach Erhebungsmethode sollen bis über 90 Prozent aller Patienten von zeitweiligen unangenehmen Begleiterscheinungen betroffen sein. Typische Nebenwirkungen sind:
Vorübergehende Verschlechterung des Befindens
Sehr viele Psychotherapie-Patienten machen die Erfahrung, dass sie sich in bestimmten Phasen der Behandlung vorübergehend schlechter fühlen. Denn die Psychotherapie nötigt sie dazu, sich intensiv mit negativen Gefühlen oder schwierigen Lebenserfahrungen auseinanderzusetzen. Das kann belastend sein, ist für die Heilung aber häufig notwendig – ähnlich wie das Eröffnen einer eitrigen Wunde, damit der Eiter abfließt und die Entzündung abklingen kann.
Problematisch ist es, wenn Betroffene in diesem Stadium ihre Therapie beenden müssen, etwa weil die Krankenkasse keine weiteren Sitzungen mehr bezahlt. Diese Patienten bleiben dann mit freigelegten Verletzungen, manchmal auch mit unverarbeiteten Traumata allein zurück.
Emotionale Abhängigkeit vom Therapeuten
Viele Patienten bauen zu ihrem Therapeuten oder ihrer Therapeutin insbesondere in der Gesprächstherapie eine enge emotionale Bindung auf, was an sich gut und wünschenswert ist. Manche fühlen sich von ihrem Therapeuten jedoch regelrecht abhängig. Sie erleben den professionellen Helfer als enge Bezugsperson, ein mögliches Therapieende ruft dann oft Ängste vor dem Verlassenwerden hervor. Betroffen sind häufig Menschen, die sich generell einsam fühlen und über wenig tragfähige soziale Bindungen verfügen.
Auswirkungen der Therapie auf das soziale Umfeld
Eine häufige Nebenwirkung von Psychotherapie ist es, dass Patienten selbstbewusster werden. So wichtig das für Betroffene ist, so irritierend kann es für das soziale Umfeld sein. Oft kommen Beziehungspartner oder Arbeitskollegen nur schwer damit zurecht, wenn ein vormals schüchterner Mensch plötzlich Forderungen stellt. Immer wieder passiert es, dass Menschen infolge einer Therapie schwierige Beziehungen beenden oder einen stressigen Job kündigen. So dramatisch das klingt – viele Betroffene sind sich im Nachhinein sicher: Für ihre Lebensqualität und psychische Gesundheit war der Jobwechsel oder die Trennung ein notwendiger Schritt.
Was ist der Unterschied zu Behandlungsfehlern?
Nebenwirkungen können auch bei erfolgreichen Therapien auftreten. Davon zu unterscheiden sind Kunstfehler oder unethisches Verhalten des Therapeuten: Ebenso wie Ärzte stellen auch Psychotherapeuten manchmal falsche Diagnosen oder wenden ungeeignete Techniken an. Noch dramatischere Auswirkungen können Grenzverletzungen in der Therapie haben, etwa wenn Therapeuten vertrauliche Informationen preisgeben oder Klienten zu ihrem eigenen Vorteil manipulieren. Auch sexueller Missbrauch in der Therapie kommt in Einzelfällen leider vor.
Wie Sie sich als Patient vor Risiken einer Psychotherapie schützen
Nicht jede Nebenwirkung von Psychotherapie muss schlecht sein. Dennoch: Wenn Sie das Gefühl haben, dass in der Behandlung etwas falsch läuft, sollten Sie das ansprechen, selbst wenn das Mut erfordert! Sie können und dürfen übrigens auch eine Zweitmeinung einholen – etwa von Ihrem Hausarzt, Ihrem Psychiater, einem anderen Psychotherapeuten, einer Beratungsstelle, oder Sie wenden sich an Ihre Krankenkasse.
Generell ist es empfehlenswert, einen zweiten Ansprechpartner neben Ihrem Therapeuten, Ihrer Therapeutin zu haben. Der Hausarzt oder Psychiater kann Ihnen bei Bedarf auch Medikamente verschreiben, die manchmal begleitend zu einer Psychotherapie sinnvoll sind.
Auch wenn Sie sich in der Therapie gut verstanden fühlen: Vergessen Sie nicht, dass es sich um eine professionelle Arbeitsbeziehung handelt. Therapeuten können Freunde und Familie nicht ersetzen. Sie sind temporäre Begleiter auf dem Weg hin zu einem selbstbestimmten Leben.