Was unsere Darmgesundheit mit unserem psychischen Wohlbefinden zu tun hat
Bereits seit Jahren wird in der Medizin über die Bedeutung von Darmbakterien für die menschliche Gesundheit diskutiert. Billionen von Mikroorganismen wimmeln in unserem Verdauungstrakt und bilden dort die sogenannte Mikrobiota. Sie schützen uns vor Krankheiten und sorgen obendrein für unser Wohlbefinden. Die Achse zwischen Darm und Gehirn, die sogenannte Darm-Hirn-Achse, ist das essenzielle Bindeglied zwischen Körper und Psyche: unser Darm und unser Gehirn stehen in direktem Austausch miteinander. Die Mikrobiota des Darmes spielt dabei eine wesentliche Rolle. In der Regel entzieht sich dieser konsequente Austausch, bis auf einige wenige Signale, wie Hunger, Durst o.ä. unserer Wahrnehmung. Ist der Informationsaustausch jedoch gestört, kann sich dies durch unangenehme Beschwerden, Verstimmungen oder handfeste Erkrankungen bemerkbar machen.
Wir sprachen mit der Fachärztin für Allgemeinmedizin und Akupunktur, Dr. Barbara Kliewer, über den Einfluss von Ernährung und Mikrobiom auf die psychische Gesundheit. Seit Juli vergangenen Jahres ist die 56-jährige als Therapeutin in der Schlossparkklinik Dirmstein unter anderem für die Mikrobiom-Therapie verantwortlich.
Den Mensch als Ganzes sehen
Frau Dr. Kliewer, wie kam es zu Ihrer Berufswahl und was fasziniert Sie an Ihrer Tätigkeit als Ärztin im Allgemeinen bzw. in der Schlossparkklinik Dirmstein im Speziellen?
Ich wollte schon als Kind Ärztin werden. Dabei interessierte mich immer der Mensch als Ganzes und nicht nur Teilbereiche dessen. Ich war 20 Jahre lang im ambulanten Bereich in einer eigenen Praxis tätig, einige Jahre auch als Lehr-Praxis der Universität Heidelberg und der ISBA Heidelberg, dabei mit der Ausbildung von Studenten, Physician Assistant sowie Kollegen in Facharztausbildung betraut. In einer kassenärztlichen Praxis ist eine ganzheitliche Behandlung von Patienten aufgrund zeitlicher und wirtschaftlicher Faktoren nur bedingt möglich. Es war schon immer mein Wunsch, Menschen ganzheitlich, d.h. unter somatischen und psychischen Aspekten gleichzeitig, sehen und behandeln zu können. Diesen Traum kann ich nun in der Schlossparkklinik Dirmstein realisieren. Hier werden Patienten unter somatischen und psychischen Aspekten im Rahmen eines multimodalen Behandlungskonzeptes gesehen und therapiert. Dieses besteht aus verschiedenen verbalen und nonverbalen Therapien, die wie ein Netz ineinandergreifen. Die Kollegen aller Fachbereiche arbeiten dabei eng zusammen und tauschen regelmäßig ihre Eindrücke zu den einzelnen Patienten aus. Dieser interdisziplinäre Gestaltungsprozess und vor allem seine Effektivität im Hinblick auf die Genesung ist es, was die Tätigkeit hier so spannend macht und mich persönlich besonders fasziniert: man muss bedenken, dass psychische Erkrankungen meist multifaktorieller Genese sind. Daher kann man nicht nur die Krankheitssymptome des Patienten betrachten, sondern muss den Patienten in seiner Gesamtheit wahrnehmen und sich beispielsweise fragen: Wo kommt der Patient her? Was hat er erlebt? In welchem Umfeld bewegt er sich? Nimmt er Medikamente? Bringt er aus seiner Familiengeschichte Vorerkrankungen mit? Und natürlich: wie ernährt er sich? In der Schlossparkklinik Dirmstein finden all diese Aspekte durch die verschiedenen Fachdisziplinen Berücksichtigung.
Gesunde Ernährung für eine gesunde Darmflora
Stichpunkt Ernährung, was verbirgt sich hinter der Mikrobiom-Therapie? Während sich vermutlich die meisten etwas unter Bewegungs– oder Gesprächstherapie vorstellen können, gibt der Begriff wahrscheinlich eher Rätsel auf.
Die Patienten erfahren, wenn sie hierherkommen, zunächst einmal eine Tagesstrukturierung. Diese beinhaltet ein gesundes Frühstück, Mittagessen und Abendessen sowie bei Bedarf eine weitere Zwischenmahlzeit. Das kennen viele Menschen schon gar nicht, dass man sich in regelmäßigen Abständen, zu festen Uhrzeiten, ernährt: da wird dann zum Beispiel aufs Frühstück verzichtet und spät abends um 22 Uhr noch zu Abend gegessen oder eine Tüte Chips vor dem Fernseher gefuttert. Aus dieser Pathologie holen wir die Patienten heraus und „rhythmisieren“ sozusagen erstmal. Damit diese den Unterschied selbst wahrnehmen und sich überhaupt erst ein Bewusstsein für die Vorteile eines gesunden Lebenswandels einstellt. Mindestens genauso wichtig für unsere Darmgesundheit ist eine ausgewogene und gesunde Ernährung. Wir haben hier eine sehr gute Küche, die auch auf individuelle Unverträglichkeiten Rücksicht nimmt.
Gesund und ausgewogen? Was heißt das konkret?
Eine vitamin-, spurenelement- und ballaststoffreiche Ernährung aus Gemüse, Obst, Getreide, Molkeprodukten, pflanzlichen und ggf. auch tierischen Ölen mit hohen Anteilen an ungesättigten Fettsäuren. Dies ist sehr wichtig für eine gesunde Darmflora. Ballaststoffe gelten als Präbiotika und regen dazu an, dass sich Bakterien im Darm ansiedeln, die eine gesunde Verdauung und auch den Stuhlgang anregen.
Was ist denn eine gesunde Verdauung bzw. Stuhlgang? Wie oft ist normal?
Das ist individuell sehr unterschiedlich. Aber von dreimal täglich bis einmal wöchentlich liegen im normalen Bereich.
Präbiotika & Probiotika
Sie sagten „Präbiotika“. Hat das etwas mit den probiotischen Drinks zu tun, die man im Supermarkt kaufen kann und was halten Sie von diesen?
Man unterscheidet in der Ernährungswissenschaft zwischen Präbiotika und Probiotika. Präbiotika stellen eine selektive Nahrungsgrundlage für Darmbakterien dar und können damit die Zusammensetzung der Darmflora positiv beeinflussen. Dazu gehören z.B. Ballaststoffe, also Faserstoffe, die im Darm nicht verdaut werden. Diese führen dazu, dass sich Bakterien im Darm ansiedeln können, die für ein Gleichgewicht und einen gesunden PH-Wert sorgen. Probiotika sind Zubereitungen, die lebensfähige Mikroorganismen enthalten, zum Beispiel Milchsäurebakterien und Hefen. Um die Mikrobiota des Darms zu regulieren, benötigen wir beides. Man kann daher durchaus Probiotika durch solche Drinks hinzuführen, einen Schaden richtet man damit auf jeden Fall nicht an. Probiotische Drinks enthalten häufig Laktobazillen und Bifidobakterien, also Milchsäurebakterien. Diese kommen aber auch in Lebensmitteln, wie Joghurt, Buttermilch, Käse, fermentiertem Gemüse, z.B. Sauerkraut, Miso (Soja), saure Gurken oder in Brot vor. Eine gesunde und ausgewogene Ernährung sollte immer die Basis bilden und ist auch meist ausreichend.
Depression, Burnout & Mikrobiota
Welcher Zusammenhang besteht zwischen Mikrobiota und psychischen Erkrankungen, wie Depression oder Burnout?
Menschen, die hierher kommen leiden bspw. an seelischen Erkrankungen, die durch beruflichen und /oder privaten Dauerstress verursacht werden: in diesem Zusammenhang schlafen sie zu wenig, essen ungesund und unregelmäßig, rauchen eventuell oder konsumieren übermäßig Alkohol, um den empfundenen Stress bewältigen zu können. All diese Faktoren verursachen eine Dysbalance unserer Mikrobiota im Darm. Es bilden sich Mikroorganismen und Schadstoffe im Übermaß, die dort gar nicht hingehören. Im Extremfall kann dies sogar zu einer Schädigung der Darmwand führen, sodass Schadstoffe aus dem Darm ins Blut übertreten können. Als Folge kann es zu einer Schädigung des Organismus und einer Reizung des autonomen Nervensystems kommen, welches dann durch Rückkopplung an das Gehirn auch dieses langfristig schädigt. Je länger diese Veränderungen bestehen, umso weniger ist das Gehirn in der Lage, diese Signale zu regulieren und psychische Erkrankungen werden begünstigt.
Also können Depressionen und Burnout durch eine gesunde Ernährung geheilt werden?
Bei einer solchen Aussage muss man sehr vorsichtig sein. Es wäre ein Trugschluss zu glauben, wir regulieren die Mikrobiota und dann ist die Depression weg. So einfach ist es dann leider doch nicht, da Depressionen oder auch andere psychische Erkrankungen immer auf multifaktorielle Ursachen zurückzuführen sind. Es ist aber möglich, dass eine Dysbalance im Darm zusätzlich zur Depression beiträgt und wir mit einer Regulierung ein Addon im Rahmen einer ganzheitlichen Behandlung erreichen können.
Darmsanierung mit Nahrungsergänzungsmitteln
Was beinhaltet die Mikrobiom Therapie zusätzlich zu einer gesunden Ernährung?
Wir haben hier in der Schlossparkklinik die Möglichkeit, anhand von Stuhlproben zu analysieren, inwieweit der individuelle Pilz- und Bakterienbefall eines Patienten von der Norm abweicht. So lässt sich feststellen, ob beispielsweise eine Dysbalance der Mikrobiota oder bereits eine Schädigung der Darmwand bzw. der Darm-Blut-Schranke vorliegt. Auf Basis dieser Ergebnisse kann durch die Gabe von zusätzlichen Prä- und Probiotika in Kapselform –als temporäre Ergänzung einer ausgewogenen Ernährung – die vorliegende Störung reguliert werden.
Haben Sie eventuell Tipps für unsere Leser?
Auf jeden Fall kann ich weitergeben, dass es sich definitiv lohnt, sich mit „gesunder Ernährung“ auseinanderzusetzen. In Zeiten von Burger King & Co. ist vielen überhaupt nicht bewusst, was es mit einer ausgewogenen Ernährung auf sich hat. Nützliche Tipps gibt beispielsweise Andreas Jopp in seinem Buch „Happy Food statt Burnout“. Wer noch tiefer und von einem wissenschaftlicheren Blickpunkt in die Materie einsteigen möchte, dem empfehle ich „Die Darm-Hirn Connection“ von Prof. Dr. Hasler.
Frau Dr. Kliewer, vielen Dank für das Interview!