Zwischen Alkoholkonsum und guten Vorsätzen
Endlich ist der Weihnachtsstress vorüber. Nach den hektischen Terminen während der Feiertagen kann Stefan zwischen den Jahren endlich aufatmen. Das dachte er zumindest. Die Ruhe zwischen Weihnachten und dem neuen Jahr ist jedoch so gar nichts für ihn. Innere Unruhe und gute Vorsätze für das kommende Jahr wechseln sich in seinen Gedanken ab, während er noch ein paar Termine hier und da bei der Familie und bei Freunden wahrnimmt.
„Was machst du eigentlich morgen an Silvester?“, fragt ihn seine Schwester Silvia. Stefan zuckt die Schultern. „Komm doch zu uns! Du musst doch nicht alleine feiern. Und ich habe auch noch ein paar Freundinnen, die ebenfalls Single sind.“ Sie zwinkert ihm zu und kümmert sich weiter um den Nudelsalat.
Eigentlich hat Stefan andere Sorgen, als sich eine neue Freundin zu suchen. Doch er weiß, dass seine Schwester es gut mit ihm meint. Und alleine würde er doch nur grübeln. So trifft er am nächsten Tag wie vereinbart gegen 18 Uhr ein und nimmt sogleich eine Flasche Bier entgegen. „Auf einen tollen Abend, der ein erfolgreiches, neues Jahr einläutet.“ prostet ihm sein Schwager zu. Einen Moment überlegt Stefan noch, da er noch nicht viel gegessen hat. Er konnte sich nicht aufraffen, sich noch etwas zu machen. Doch dann nimmt er den ersten Schluck und hilft Silvia bei den restlichen Vorbereitungen, bis um 20 Uhr die Gäste eintreffen. Er lacht gemeinsam mit den anderen über die Scherze und verdrängt die negative Gedankenspirale der letzten Tage.
Die Stimmung steigt, die Gäste amüsieren sich – doch irgendwann steht Stefan nur noch am Rand und trinkt ein Bier nach dem anderen. Die zuvor gute Stimmung lässt sich nicht mehr aufrechterhalten. Die vielen Fragen nach guten Vorsätzen unter den Gästen tragen dazu bei, das alte Jahr Revue passieren zu lassen. Bei dieser Betrachtung steigt sein Frust. Seine schlechte Stimmung der vergangenen Wochen versucht er in einem weiteren Bier zu „ertränken“.
So grübelt er irgendwann auf dem Sessel, in dem er es sich bequem gemacht hat, und nickt noch kurz vor Mitternacht ein. Im Halbschlaf hört er das Kichern der Gäste, während er das Stirnrunzeln seiner Schwester nicht mitbekommt. „5, 4, 3, 2, 1 – Prosit Neujahr!!! Im neuen Jahr wird alles anders!“ – „Das wird mein Jahr!“ – „Endlich ist das Alte ‚rum! Das Neue wird großartig!“ – „Darauf trinken wir!“…
Die Erinnerung an die Silvesternacht ist noch ganz frisch. Die Maske der guten Laune ist jedoch verschwunden. Stattdessen sitzt ein mächtig dicker Kater auf seinem Gemüt und in seinen Gliedern, als Stefan vorsichtig die Augen aufschlägt. Nichts hat sich verändert. Der erste Tag des neuen Jahres kündigt sich mit einem Ziehen in der Brust an und eine dunkle Wolke über seinem Kopf macht ihm Angst. Angst, auch im neuen Jahr wieder den Kampf gegen die Depression zu verlieren.
Dann fallen Stefan die Gespräche wieder ein. Die vielen guten Vorsätze in der Silvesterrunde. Mehr Sport machen, sich gesünder ernähren, mehr für die Familie da sein … so vieles war dabei. Stefan schiebt diese Gedanken auf Seite. Er hat nur einen guten Vorsatz für dieses Jahr und diesen setzt er direkt um: Er will etwas ändern – er ruft beim Sorgentelefon an und schildert seine Situation. Er erhält Kontaktadressen und wird gleich am nächsten Tag zu seinem Arzt gehen, um eine Therapie gegen seine Depression zu beginnen.
Zwischen Alkoholkonsum und guten Vorsätzen
Der Genuss von Alkohol ist mehr als nur gesellschaftlich akzeptiert. Gerade zu Silvester gehört es zum „guten Ton“, mit einem (oder mehreren) Gläsern Sekt und anderen alkoholischen Getränken auf das neue Jahr anzustoßen. Wenngleich ein wenig Alkohol für den gesunden Menschen als entspannend sowie stimmungssteigernd gilt und negative Gefühle dämpfen kann, gibt es mehrere Faktoren, welche diese Wirkung schnell ins Gegenteil umschlagen lassen. Natürliche Hemmungen werden gesenkt, die Stimmung kann in Gereiztheit und Aggression umschlagen. Das Urteilsvermögen wird eingeschränkt. In Folge dessen wird die Kritikfähigkeit, aber auch die körperliche Koordination reduziert, wodurch sich in Kombination mit erhöhter Risikobereitschaft das Gefahrenpotenzial maximiert.
Ebenso schwierig ist der Umgang mit den sogenannten „guten Vorsätzen“, die schon für einen gesunden Menschen schwer umzusetzen sind. Für einen Menschen mit Depression ist ein solcher Vorsatz mit einem hohen Selbstdruck verbunden, der weiteren Potenzial für ein „Versagen“ bietet. Wenn Sie unbedingt einen „guten Vorsatz“ wählen wollen, entscheiden Sie sich für einen, den Sie schnell und verhältnismäßig einfach umsetzen können und der Ihnen weiterhilft: Hilfe suchen und annehmen, eine Therapieanfrage und das Gespräch mit dem Hausarzt vereinbaren oder gar ein Depressionstagebuch führen, indem Sie positive Erlebnisse, Aktionen und Gedanken notieren, um sie zu stärken.
Empfinden Sie die Erkenntnis, Hilfe zu benötigen, nicht als „Versagen“, sondern machen Sie sich bewusst, dass allein diese Selbsterkenntnis und deren Akzeptanz verdeutlicht, dass Sie ein starker Mensch sind, der zu großartigen Veränderungen fähig ist.