Die dunkle Jahreszeit birgt für Menschen mit Depressionen ein hohes Risiko
Die verminderte Helligkeit und das düstere Wetter verstärken negative Gefühle. Hinzu kommen die vielfältigen Anforderungen, die das gesellschaftliche Leben im Advent sowie an Weihnachten an den Einzelnen stellt: Weihnachtsfeiern auf der Arbeit, Familientreffen und private Festlichkeiten stehen an der Tagesordnung.
Der Weihnachtstrubel kann jeden Menschen an seine Grenzen bringen. Für Menschen mit einer psychischen Erkrankung verstärkt sich der ohnehin kaum auszuhaltende Druck, funktionieren zu müssen, um „wenigstens“ an Weihnachten niemanden zu belasten. Gleichzeitig sorgen die Aufforderungen nach Teilhabe am Getümmel auf dem Weihnachtsmarkt und die vorausgesetzte Festfreude beim Familientreffen für Stress, der oft in Schuldgefühlen mündet. Doch woher stammt der mentale Druck zu Weihnachten?
Alles für das perfekte Fest
Die Kinder streiten sich seit dem Morgen und Sabine steckt noch mitten in den Vorbereitungen. „Wann kommt Oma?“ fragt die Jüngste aus dem Kinderzimmer und klopft sich im Flur das Mehl aus der Kleidung, das sie zum Spielen aus der Weihnachtsbäckerei stibitzt hat. „Morgen Mittag!“ antwortet Sabine, verdrängt schnell den Gedanken an die Schwiegermutter und greift genervt zum Staubsauger. Der Hund fiept derweil an der Tür, weil er noch nicht Gassi war.
„Markus!“ ruft Sabine ihren Teenager. „Der Hund muss raus!“ „Gleich!“ – „Nein, jetzt!“
Sabine bemüht sich um Fassung, während sich die Geräusche des Computerspiels mit der Handymusik ein Duell liefern. „Und macht die Musik leiser!“ Murrend reduziert der Sohn den Geräuschpegel und vertieft sich zurück in sein Spiel.
Ihr Mann Elmar ist mit seinem Schwager zum „Tannenbaum kaufen“ verschwunden. Er sollte längst zurück sein. Immerhin ist der Kuchen im Backofen, die Straße ist gekehrt und das Wohnzimmer umgeräumt, um für das morgige Weihnachtsfest Platz zu schaffen. Nur der Weihnachtsbaum fehlt noch.
Kaum ist der Mehlstaub aufgesaugt, sind die gebackenen Kekse aus der Küche verschwunden und die Torte zeigt verräterische Fingerspuren. So kann die Torte morgen nicht auf die Festtafel. „Markus! Der Hund!“ – „Gleich, ey!“ tönt es zurück. Sabine will gerade zurück poltern, als es an der Türe klingelt. „Mach jetzt hin!“ giftet sie noch nach oben und will gerade ihren verspäteten Mann anfahren, als ihre Schwiegermutter vor ihr steht.
„Roberta, du wolltest doch erst morgen kommen! Was für eine Überraschung!“ stottert Sabine, während der Hund hinter ihr ein Bächlein auf den Fliesen hinterlässt. „Hast du den Köter immer noch nicht erzogen?“ fragt die Schwiegermutter schnippisch und zieht die Augenbrauen hoch. Sie drängt sich an Sabine vorbei, blickt sich prüfend um und erwidert: „Ja, wollte ich. Doch ich dachte mir schon, dass Du Hilfe brauchst. Du weißt ja: Das Fest soll perfekt werden.“
Zwischen Besinnlichkeit und geforderter Weihnachtsfreude
Emotional verbinden wir die Weihnachtszeit mit Vorfreude und festlichen Gelegenheiten, die allen Beteiligten Freude machen. Die Realität sieht jedoch oft anders aus. Die hohe Erwartungshaltung des Einzelnen und der eigene Anspruch, ein perfektes Fest zu erleben, wird als stressig erlebt. Alles wird bis ins kleinste Detail geplant und kann nicht in Perfektion umgesetzt werden. Das persönliche Empfinden vielfältiger Individuen sowie die unterschiedlichen Geschmäcker erlauben kein für alle Personen perfektes Fest. Und dennoch probieren viele, genau dies zu erreichen. Denn schließlich ist Weihnachten.
Hinzu kommen alte Familienkonflikte, die unterschwellig über das ganze Jahr gären. Sie können sich mal aufgrund der Anspannung bei den Vorbereitungen, mal beim eben noch entspannten Festmahl schon durch kleinste Unstimmigkeiten entladen. Dies gilt insbesondere, wenn alkoholische Getränke konsumiert werden, welche alltägliche Hemmungen senken.
In unserer kleinen Geschichte durchlebt Sabine den Frust und die innere Anspannung während der Vorbereitungen und wird offenbar einen Tag zu früh mit den hohen Ansprüchen ihrer kritischen Schwiegermutter konfrontiert. Wirklich erkennen können wir dies in der Geschichte nicht, ebenso wenig wie wir dies im normalen Alltag der Weihnachtszeit einem Menschen ansehen.
Individuell vorbereiten – das eigene Wohl im Blick
Ist ein Mensch depressiv, kann schon das Zusammensein mit vielen Menschen (z.B. dem großen Familienkreis) anstrengend sein, besonders wenn wie bei einem Familienfest ein geeigneter Rückzugsort fehlt. Die umgekehrte Problematik entsteht, wenn durch sozialen Rückzug in der Depression und ein nur kleines, soziales Netzwerk Einsamkeit entsteht, während das Bild der glücklichen Gemeinschaft an den Weihnachtstagen überall präsent ist. Auch dies führt bei Betroffenen zu Stress und mentaler Anspannung, welche vorhandene Depressionen verstärken.
Scheuen Sie sich nicht, Ihre Bedürfnisse auch an den Feiertagen zu erfüllen. Dafür dürfen Sie auch gegenüber Freunden und Familienmitgliedern Rückzugsmöglichkeiten und eine Reduzierung der Ansprüche fordern. Gehen Sie ebenso auf Abstand zu den eigenen hohen Perfektionsansprüchen. Das Weihnachtsfest wird mit einfachen Speisen in einem entspannten Rahmen sicherlich schöner als mit dem hochwertigen Mehrgangmenü und viel Vorbereitungsstress. Nehmen Sie sich Auszeiten, machen Sie beispielsweise einen ausgiebigen Spaziergang.
Für allein lebende Menschen mit Depressionen ist es ratsam, das eigene Netzwerk schon in der Vorweihnachtszeit zu kontaktieren. Vielleicht gibt es dort weitere Personen, welche die Feiertage nicht allein verbringen möchten und sich freuen, stressfrei und entspannt eine schöne Zeit zu verbringen.