Nicht immer ergibt sich aus dem komplexen Zusammenspiel von Körper und Psyche das „klassische“ psychosomatische Muster, bei dem sich seelische Probleme körperlich niederschlagen. Denn umgekehrt können auch die Ursachen psychischer Symptome körperlich sein, Depressionen eingeschlossen. Eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung verschafft dann kaum Linderung.
Wie Psyche und Körper in Wechselwirkung stehen
Somatoforme Störungen beziehungsweise psychosomatische Beschwerden sind mit einer 12-Monats-Prävalenz von 3,5 Prozent in der Gesamtbevölkerung Deutschlands recht häufig, können durch Psychotherapie jedoch gut behandelt werden. In diesem Falle werden die hinter den körperlichen Beschwerden steckenden psychischen Probleme wie zum Beispiel Traumata, Konflikte, aber auch Erkrankungen wie Depressionen (man spricht dann von einer somatisierten Depression) bearbeitet, wodurch Schmerzen und Schwindel zurückgehen. Der Weg dahin ist für viele Betroffene aber oft lang und mit einem Ärzte-Marathon verbunden. Das gilt umso mehr, wenn vice versa psychische Symptome und Erkrankungen wie eine Depression körperliche Ursachen haben. Eine umfängliche Untersuchung, die Körper und Psyche gleichermaßen berücksichtigt, ist daher für Diagnose wie Behandlung von Depressionen unerlässlich.
Welche Ursachen der Depression körperlich sein können
Viele Patienten vollziehen einen langen Leidensweg mit vielfältigen Behandlungen, bis die tatsächliche Ursache gefunden ist. Hinter Depressionen können diverse Erkrankungen stecken: Stoffwechselstörungen der Schilddrüse und im Gehirn, chronische Schmerzen und Entzündungen, Vitamin-B12/D3-Mangel, Hormonmangel (Geschlechtshormone) und andere pathologische Prozesse im Körper. Das Tückische: All diese können selbst bei einem Bluttest (falls nicht speziell danach gesucht wird) und in Gehirnuntersuchungen (z.B. cMRT) unerkannt bleiben, obwohl die Ursache der vorliegenden Erkrankung im Körper liegt und die psychischen Symptome lediglich deren Folge sind.
Wird die körperliche Ursache jedoch gefunden und behandelt, bessern sich auch die psychischen Symptome in der Regel oder bilden sich ganz zurück. Der Arzt spricht dabei von „organischen Erkrankungen mit psychiatrischem Ausdruck“, die sich mit der Symptomatik von Depressionen, Angststörungen oder gar schizophrenieähnlich zeigen können. Laut Schätzungen auf der Grundlage von Studien gehen rund zehn Prozent der psychiatrischen Diagnosen auf eine unerkannte, organische Krankheit zurück. Umgekehrt können psychische Erkrankungen aber auch körperliche Symptome verursachen. Werden dann Untersuchungen der körperlichen Symptome unternommen, findet sich oft kein krankheitswertiges Ergebnis und die somatische Medizin allein führt zu keiner Besserung. Auch so entsteht oft ein Leidensweg beim Patienten, bis dieser letztendlich durch einen Facharzt für Psychosomatik oder Psychiatrie die erlösende Einschätzung seiner Probleme erhält: Die gezeigten körperlichen Symptome sind wahrscheinlich psychisch bedingt und es handelt sich um eine psychosomatische Erkrankung bzw. somatoforme Störung. Nichtsdestoweniger ist es auch hier wichtig, dass eine grundlegende körperliche Abklärung erfolgt oder bereits erfolgt ist. Dies erhöht die diagnostische und therapeutische Sicherheit.
Wie sich Vitaminmangel und Hormonungleichgewichte psychisch auswirken
Ein Beispiel für die oben dargestellte Problematik ist zum Beispiel ein starker Mangel an Vitamin B12. Das Vitamin ist an zahlreichen, lebensnotwendigen Stoffwechselprozessen beteiligt. Fehlt dieses, kommt es zu Störungen in der Weiterleitung von Schlüsselbotenstoffen, die wiederum Unregelmäßigkeiten in der Serotoninproduktion hervorrufen. Serotonin ist für die Emotionsverarbeitung im Gehirn maßgeblich. Die Folgen zeigen sich in der Ansammlung giftiger Substanzen und Entzündungen im Gehirn, die mitunter zur Entstehung von Zytokinen führen. Hieraus resultiert eine Überempfindlichkeit in der Stressempfindung, die körperliche Reaktionen bis hin zu gedrückter Stimmung oder gar Psychosen führen kann.
Hormone können ebenfalls für die Entstehung von psychischen Symptomen ursächlich sein. Eine gut funktionierende Schilddrüse produziert für die Stoffwechselprozesse gleich mehrere Hormone, die auch im Gehirn benötigt werden. Bei Unregelmäßigkeiten in den Schilddrüsenhormonen können sowohl depressive Anzeichen (bei ausgeprägtem Schilddrüsenhormonmangel) als auch manische Phasen (bei deutlicher Überfunktion) auftreten. Die Nebennieren können hingegen aufgrund ihrer Herstellung des Stresshormons Kortisol zum Auslöser für Ängste und depressive Symptomatiken werden.
Auch ein Vitamin-D3-Mangel kann psychischen, neurologischen und körperlichen Erkrankungen Vorschub leisten. Ernsthafte Erkrankungen mit möglicher (nicht unmittelbarer!) Verbindung zu einem Mangel an Vitamin D sind: Depression, Tumorerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen (z.B. Herzinfarkt, Schlaganfall), Atemwegserkrankungen (wie Asthma), Stoffwechselerkrankungen (wie Typ-2-Diabetes) und Autoimmunerkrankungen (wie Multiple Sklerose). Auch eine deutliche Verminderung oder das Fehlen von Sexualhormonen kann mit der Entstehung oder Verschlechterung seelischer Störungen einhergehen, nicht nur im Sinne der bekannten Wechseljahresbeschwerden, sondern auch darüber hinaus.
Herzinfarkt, Panikattacke oder Depression?
Sogar eine Herzerkrankung kann durch den alleinigen Blick auf die Symptome durch den Laien mit einer psychischen Erkrankung verwechselt werden. Eine Herzrhythmusstörung kann sich durch das Gefühl von Enge im Brustkorb, dem Gefühl von Erstickung und Schwindelgefühlen sowie schwere Ängste zeigen. Diese Anzeichen sprechen aus psychologisch-psychiatrischer Sicht für eine Panikattacke, die dem Bereich der Angststörungen zugeordnet wird. Ebenso können verschiedene Krebserkrankungen nicht nur durch die psychische Belastung eine Depression hervorrufen, sondern durch direkte körperliche Auswirkungen die Symptome einer psychischen Erkrankung hervorrufen. Drückt ein sich ausbreitender Tumor auf Nervenbahnen oder umliegendes Gewebe oder löst er Entzündungen aus, können die für Depressionen typischen Symptome Kraftlosigkeit, Antriebslosigkeit, Appetitlosigkeit und Müdigkeit die Folgen sein.
Werden die möglichen körperlichen Ursachen einer Depression jedoch durch fachärztliche Begleitung und Untersuchungen geprüft, kann deren frühzeitige Erkennung und gezielte Behandlung eine psychotherapeutische Behandlung obsolet machen und bereits bestehende psychische Störungen zu bessern helfen. Neben dem Hausarzt und dem Psychiater bzw. Psychotherapeuten sollte gegebenenfalls auch eine Untersuchung beim Neurologen, Endokrinologen sowie bei weiteren spezialisierten Fachärzten auf der Ursachensuche einbezogen werden. Diese zusätzlichen Untersuchungen sollten zum Beispiel dann erfolgen, wenn sonst gut wirksame Psychopharmaka auf die bereits diagnostizierte, psychische Erkrankung auffallend wenig oder gar nicht wirken. Auch bei neurologischen Symptomen, Verwirrtheit und Katatonie (Bewegungsauffälligkeiten), stark wechselnder Symptomatik oder z.B. visuellen Halluzinationen (bei psychischen Erkrankungen sind akustische Halluzinationen typischer) sollte die körperliche Untersuchung über die klassischen Tests mittels Blutuntersuchung und Gehirnscans hinaus gehen. Ein erfahrener Psychiater hilft dem Patienten hier als Lotse durch den modernen „Medizindschungel“ und trägt somit dazu bei, rasch diagnostische und therapeutische Klarheit zu schaffen.
Somatisierte Depression oder körperlich verursacht?
Die moderne Medizin weiß heute viel über die Zusammenhänge von Körper und Psyche, kann die komplexen Aspekte jedoch bis heute nur eingeschränkt voraussagen. Wir wissen heute, dass zwischen Krankheiten der Psyche und des Körpers keine klare Grenze verläuft, da der Körper auf die Psyche ebenso reagieren kann, wie es umgekehrt der Fall ist. Hormone, Stoffwechsel, die Organe und der Geist haben eine komplexe Verbindung, deren Wechselspiel eng miteinander verknüpft ist. Eine individuelle Untersuchung und die auf deren Ergebnisse abgestimmte Behandlung muss daher von erfahrenen und fachlich versierten Ärzten erfolgen, die Sie in Ihrer Gesundheitsproblematik ganzheitlich unterstützen. Die „organopsychiatrischen“ Erkrankungen sind vielseitig und spezifisch, können häufig jedoch durch gezielte Untersuchungen im Anschluss gut behandelt werden.
Sprechen Sie entsprechend offen mit Ihrem Arzt und/oder Therapeuten, wenn Sie das Gefühl haben, dass die aktuellen Behandlungen nicht ausreichen oder keine Wirkung zu haben scheinen, um Ihren Gesundheitszustand zu verbessern. Führen Sie ein Depressionstagebuch mit allen Symptomen und Auffälligkeiten, um Ihren behandelnden Arzt bei der Differentialdiagnose zu unterstützen und die Ursachenfindung für die vorliegende Gesundheitsproblematik im Fall einer organopsychiatrischen Erkrankung zu fördern. Bedenken Sie jedoch auch, dass sowohl therapeutische Maßnahmen als auch Medikamentengaben Zeit benötigen, um anzuschlagen.
Dieser Artikel wurde erstmals am 9. Dezember 2019 veröffentlicht und bearbeitet.
Vielen Dank für diesen Beitrag zum Thema Depression. Ich informiere mich gerade über Möglichkeiten Depression behandeln zu lassen. Interessant, dass Hormone für die Entstehung von psychischen Symptomen ursächlich sein können.