Krank durch Langeweile und Unterforderung ist möglich
„Und dann sitzt Du jetzt einfach nur noch da und überwachst die Maschinen, die Deine Arbeit machen? Cool, dann kannst Du ja neben her zocken und wortwörtlich ’spielend‘ Dein Geld verdienen.“ Axel war ganz begeistert von Richards Erzählungen aus dem neuen Arbeitstag.
„Na, ganz so einfach ist es nicht.“ erwiderte Richard. „Außerdem haben wir im Büro der Produktion Verbot von Handy und Surfen in den sozialen Medien. Wenn dann nämlich was passiert und man hat nicht aufgepasst, gibt’s richtig Ärger. Davon abgesehen kriegen wir jetzt die ganzen Extraarbeiten aus der anderen Abteilung rüber. Es ist also nicht so, als hätte ich nichts zu tun.“ – „Mag ja sein. Aber trotzdem cool, wenn der Job die meisten Tage sehr einfach läuft. So gut wie Du hätte ich es auch gern mal.“
„Wenn Du wüsstest…“ dachte Richard, behielt es jedoch für sich. Er war immer ehrgeizig gewesen, galt als fleißig und zuverlässig – was auch genau der Grund war, warum er diesen Arbeitsplatz jetzt innehatte. Am Anfang fand er die neue Arbeitssituation ebenfalls noch sehr entspannend. Doch inzwischen empfand er die Überwachung der gut laufenden Technik als eine echte Qual. Ihm fehlte die Herausforderung, die Abwechslung im Tagesablauf. Und ja, auch den Stress, der zuvor den Alltag auf der Arbeit reizvoll machte, vermisste er tierisch.
Er saß den ganzen Tag allein im neuen Büro, weil die neue Technik nur eine Person erforderte. Die Kollegen in anderen Abteilungen saßen zu zweit oder gar zu dritt im Zimmer. Da konnte man sich wenigstens mal unterhalten. Er hingegen musste dafür zwei Etagen zu den anderen laufen und immer häufiger kam es ihm vor, als würden die Minuten wie Stunden vergehen. Dennoch war er am Abend vom „Nichtstun“ oft total erledigt. An diesen Tagen hatte er für nichts mehr Lust, wollte sich nur noch im Bett verkriechen, bis der Wecker ihn wieder unsanft aus dem Schlaf in Richtung Arbeit trieb.
Er fühlte sich fast schon depressiv, so ähnlich wie sein Kumpel Jochen vor einiger Zeit es beschrieben hatte. Jochen war allerdings sehr aktiv und hatte viel Stress um die Ohren. Burnout hieß seine Diagnose. Richard überlegte, welche Symptome Jochen ihm damals alle genannt hatte, und ging die Liste im Geiste durch. Fast schon musste er auflachen, weil er fast alle Anzeichen eines Burnouts hatte. Ein Burnout vor lauter Langeweile.
Ähnlichkeiten und Unterschiede von Burnout und Boreout
Ein Burnout entsteht vorrangig durch eine lange andauernde Überbelastung durch Stress, Arbeit und andere Herausforderungen. Der Betroffene überschreitet vielfältig die Grenzen seiner persönlichen Resilienz / Belastbarkeit, ohne für einen angemessenen psychischen und / oder körperlichen Ausgleich zur Regeneration zu sorgen. Die mentalen Batterien werden hierdurch entladen und nicht wieder aufgefüllt. Der persönliche Akku „brennt aus“.
Beim Boreout ist ein gegenteiliger Effekt maßgeblich für die Erkrankungssituation: Durch das häufige, mechanisierte Ausführen einer wiederkehrenden Handlung ohne herausfordernden Anspruch entsteht eine psychische Übersättigung. Die Grundhaltung wird dabei zumeist anfangs als angenehm oder neutral empfunden. Die stete Wiederholung nimmt der Ausübung jedoch den herausfordernden Charakter. Die Wiederholung wird langweilig, anstrengend und wechselt in einen Zustand des Widerwillens bis hin zur ausgeprägten Abneigung.
Widerwillen und Abneigung werden durch das persönliche Empfinden und den Wunsch zum Leistungsgedanken übergangen oder gar verdrängt. Die Situation wird somit für den Betroffenen unerträglich, ohne dass er sich die Langeweile als Anstrengung eingestehen kann. Es fehlt das Gefühl der Produktivität, der den positiven Ausgleich gibt. Die Folge ist das Boreout-Syndrom, das ebenso wie ein Burnout eine psychische und körperliche Abwehr-Erkrankung gegenüber der vorliegenden Gesamtsituation äußert.
Die Symptome eines Boreouts zeigen sich beispielsweise in schneller Ermüdung, Antriebslosigkeit und Schlafstörungen, eine erhöhte Infektanfälligkeit, Störungen des Magen-Darm-Traktes sowie Schwindel, Kopf- und Gliederschmerzen oder Depressionen und weitere. Somit gleichen sich die Symptome von Burnout und Boreout, wenngleich die psychosozialen Ursachen in gegensätzlichen Lebenssituationen zu finden sind.
Das Boreout-Syndrom wird dabei von der sozialen Tabuisierung von Langeweile in einer leistungsorientierten Umwelt stark geprägt. Kaum ein Betroffener würde zugeben, dass sie unter „zu wenig Arbeit“ leiden, im Alltag „faul herum sitzen“ und die mangelnde Aktivität am Arbeitsplatz sie krank machen könnte. Die Hemmschwelle des Eingeständnisses sowie die damit verbundene Folge, eine Veränderung der Situation herbeizuführen, wird somit gemieden. Stattdessen kommt es zu einer „inneren Kündigung“, einer Art der mentalen Abgrenzung vom Selbstbild des „unproduktiven Menschen“. Diese Abgrenzung kann die Boreout-Symptome zusätzlich verstärken.
Durch die besondere Problematik der Unterforderung in einer Leistungsgesellschaft und einem anspruchsvollen Selbstbild durch den Betroffenen ist es wichtig, durch eine aktive Veränderung der Gesamtsituation (z.B. einem Arbeitsplatzwechsel) die Grundlage der Problematik zu beheben. Gleichzeitig bietet therapeutische Begleitung die richtige Hilfestellung, die Weichen für die Zukunft neu zu stellen und den Genesungsprozess des Boreouts einzuleiten.