Das ist der Unterschied
Depressionen und Demenz sind die häufigsten psychischen Leiden im Alter. Wie sich diese trotz ähnlicher Anfangssymptome unterscheiden lassen und was im Falle einer Erkrankung hilft, erläutert ein Experte.
Wo ist denn nur wieder der Hausschlüssel? Wie heißt noch einmal der Augenarzt? Und was wollte ich dringend einkaufen? Wenn die Vergesslichkeit zunimmt, wächst insbesondere im Alter die Furcht vor einer beginnenden Demenzerkrankung. Laut Deutscher Alzheimer Gesellschaft (DAlzG) waren 2016 hierzulande etwa 1,6 Millionen Menschen davon betroffen. „Doch längst nicht immer sind „Schusseligkeit“ und Zerstreutheit das Anzeichen einer beginnenden Demenz,“ betont Dr. Thorsten Bracher, Chefarzt der Schlossparkklinik Dirmstein. „Vielmehr können sie auch Symptom einer Depression sein“, so der Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie.
Eine sichere Diagnose ist oft schwierig. Denn „umgekehrt passiert es auch nicht selten, dass Menschen mit beginnender Demenz von ihrem Arzt zunächst fälschlicherweise als depressiv eingestuft und somit falsch behandelt werden“, erläutert der Experte. Ein wesentlicher Grund: „Menschen mit beginnender Demenz beobachten voller Sorge und Verzweiflung ihre nachlassenden geistigen Fähigkeiten – und können dadurch in ein Stimmungstief fallen.“ Experten schätzen, dass es bei fast jedem zweiten an Alzheimerdemenz Erkrankten zu ernsthaften Verstimmungen kommt.
Während sich die Demenz meist schleichend entwickelt, werden Depressionen eher plötzlich ausgelöst – vielfach durch ein besonders belastendes bzw. einschneidendes Erlebnis. In jungen Jahren sind das oft Arbeitslosigkeit oder andere Probleme im Job oder der Partnerschaft – im Alter meist gesundheitliche und körperliche Beschwerden sowie Einsamkeit durch den Tod des Partners. „Doch längst ist es nicht immer der schwere Schicksalsschlag, der uns in ein tiefes Loch fallen lässt“, gibt Dr. Bracher zu Bedenken. „Auch nachlassende psychische und physische Fähigkeiten und das Gefühl der Isolation können die eigene Wertschätzung und die seelische Stimmung stark beeinflussen.“
Was die tägliche Leistungskurve verrät …
Doch wie lassen sich Demenz und Depressionen frühzeitig unterscheiden? Laut Experten gibt es einige deutliche Anzeichen, die auch Betroffenen bzw. deren Angehörigen bei der Einordnung der Veränderungen helfen können: So leiden demente Menschen im Gegensatz zu depressiven unter Gedächtnisstörungen, einer oft ausgeprägten Desorientierung und nachlassenden kognitiven Fähigkeiten. Zudem ist bei ihnen auch die Alltagskompetenz stark beeinträchtigt.
Weitere Unterschiede sind bei der täglichen „Leistungskurve“ erkennbar: An Demenz erkrankte Menschen sind in der Regel morgens geistig besonders rege und bauen dann im Tagesverlauf zunehmend ab. Bei depressiven Menschen ist es genau umgekehrt: In der Frühe kognitiv alles andere als fit, steigert sich deren geistige Leistungsfähigkeit oft im Laufe des Tages zunehmend. Typisch ist auch, dass demente Menschen die Probleme eher herunterspielen und depressive diese eher dramatisch beurteilen.
Jeder Vierte leidet unter Alters-Depressionen
Das Risiko an einer Depression zu erkranken, wächst mit fortschreitenden Jahren erheblich: Während die Quote in der Gesamtbevölkerung bei fünf Prozent liegt, sind es bei Menschen über 70 rund 25 Prozent, schätzen Experten. Neben den generellen Symptomen wie tiefer Trauer und Antriebs- und Hoffnungslosigkeit kommen bei ihnen häufig körperliche Symptome hinzu, vielfach Rückenschmerzen oder Herzrhythmusstörungen. „Nicht selten sind die physischen Beschwerden auffälliger als die psychischen und erschweren somit die Diagnose“, betont Dr. Bracher. Das Resultat: Nur 10 bis 20 Prozent aller Depressionen im Alter werden überhaupt erkannt und entsprechend therapiert, sind sich Fachärzte sicher. Dabei bietet die Kombination aus Psychotherapie und Antidepressiva wirkungsvolle Hilfe. „Bei professioneller Unterstützung bestehen auch im fortgeschrittenen Alter gute Chancen einer wesentlichen Verbesserung der Beschwerden“, betont Dr. Bracher. Es kommt wieder zu mehr Lebensfreude und psychischer Stabilität.
Wie bei den Depressionen, so steigt im Alter auch das Risiko einer Demenzerkrankung erheblich: Sind in der Altersgruppe von 70 bis 74 Jahren laut DAlzG noch unter vier Prozent betroffen, so sind es bei den 80 bis 84-jährigen bereits mehr als 15 % und bei den über 90-jährigen sogar 41 Prozent. Ein Heilmittel gibt es noch nicht. Zur anfänglichen Zerstreutheit kommen im Laufe der Zeit fortschreitende Beeinträchtigungen der Denk- und Gedächtnisleistung, Persönlichkeitsveränderungen sowie Orientierungslosigkeit und körperliche Beschwerden hinzu.