Leiden im Verborgenen
Mit fortschreitenden Jahren steigt das Risiko an einer Depression zu erkranken. Oft werden die Symptome jedoch nicht erkannt oder als typische Alterserscheinung verharmlost. Dabei sind die Aussichten bei professioneller Therapie vielversprechend.
Ältere Menschen werden weitaus häufiger depressiv als jüngere. Während die Quote in der Gesamtbevölkerung bei fünf Prozent liegt, sind es bei Menschen über 70 rund 25 Prozent, schätzen Experten. „Depressionen sind neben Demenzerkrankungen die häufigste psychische Erkrankung im Alter“, bringt es Dr. Thorsten Bracher, Chefarzt der Schlossparkklinik Dirmstein, auf den Punkt.
Im Gegensatz zu Verstimmungen, unter denen viele Menschen vor allem in der trüben Jahreszeit leiden, können Depressionen Monate und Jahre andauern. Typische Anzeichen sind tiefe Trauer, Antriebs- und Hoffnungslosigkeit – und das quer durch alle Generationen. „Allerdings sind bei der Altersdepression häufig körperliche Symptome wie etwa Rückenschmerzen, Herzrhythmusstörungen oder Schwindel auffälliger als die psychischen Beschwerden“, betont Dr. Bracher. Dies erschwert natürlich die Diagnose: „Oft werden die Symptome medizinisch nicht richtig eingeordnet oder schlichtweg fälschlicherweise als Alterserscheinung abgetan“, berichtet der Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie. Hinzu kommt, dass eine Depression nur schwer von Demenz-Erkrankungen abzugrenzen ist. Das Resultat: Nur 10 bis 20 Prozent aller Depressionen im Alter werden überhaupt erkannt und entsprechend therapiert, sind sich Fachärzte sicher. Im Vordergrund der (hausärztlichen) Behandlung stehen in den meisten Fällen die körperlichen Beschwerden. Das eigentliche Problem, die Schwermut, bleibt unbehandelt.
Von der Isolation in die Depression
Oft gehen einer Depression stark belastende oder einschneidende Ereignisse voraus. Während es sich dabei in jungen Jahren vielfach um Probleme im Job handelt, sind im Alter oft Gesundheitsprobleme, körperliche Beschwerden oder Einsamkeit entscheidend. In sehr vielen Fällen ist auch der Tod des Ehepartners oder anderer geliebter Menschen Auslöser einer Depression. „Doch längst ist es nicht immer der schwere Schicksalsschlag, der uns in ein tiefes Loch fallen lässt“, gibt der Facharzt zu Bedenken. Auch das Gefühl der Isolation sowie nachlassender psychischer und physischer Fähigkeiten können eigene Wertschätzung und seelische Stimmung stark beeinflussen.
Besteht Verdacht auf eine depressive Erkrankung, so bietet die Kombination aus Psychotherapie und Antidepressiva wirkungsvolle Hilfe. „Bei professioneller Unterstützung haben auch Menschen im fortgeschrittenen Alter gute Chancen einer wesentlichen Besserung ihrer Beschwerden“, versichert Dr. Bracher. Dank der Medikamente lässt sich das biochemische Gleichgewicht im Gehirn wieder herstellen. Im optimalen Fall ist der Patient anschließend symptomfrei. Es kommt wieder zu mehr Lebensfreude und psychischer Stabilität. Rückfälle sind insbesondere bei älteren Patienten aber alles andere als selten: Laut Experten ist jeder Zweite danach erneut betroffen. „Deshalb sollten Medikamente auch bei spürbarer Besserung der Symptome niemals eigenmächtig vom Patienten abgesetzt werden“, warnt Dr. Bracher.
Verhindern lässt sich eine Depression nicht. Denn schließlich kann niemand auslösende traumatische Erlebnisse, wie etwa den Tod eines geliebten Menschen, voraussehen. „Allerdings lassen sich die Risiken durch ein funktionierendes soziales Netzwerk mit guten Freunden sowie abwechslungsreichen gedächtnisfördernden Hobbys senken“, so der Experte. Ausreichende Entspannung sowie viel Bewegung an der frischen Luft können zudem regelrecht antidepressiv wirken.