Wie kann man Ängste überwinden, und ab wann sollte man professionelle Hilfe in Anspruch nehmen? Seit einigen Jahren taumeln wir gefühlt von einer Krise in die nächste: Die Erderwärmung, deren Folgen wir immer mehr spüren, Kriege und Unruhen auf der ganzen Welt oder Energie- und Wirtschaftskrisen schüren Ängste und Zukunftssorgen. Lesen Sie hier, wie man gut mit verstörenden Nachrichten umgeht und welche psychischen und körperlichen Symptome für eine Angststörung sprechen.
Angst: ein ganz normales Gefühl
Angst gehört zu unserem ganz normalen Gefühlsrepertoire und ist per se nichts Schlechtes. Als biologisch angelegtes Alarmsystem bewahrt sie uns mitunter vor lebensbedrohlichen Gefahren. Es ist daher weder möglich noch sinnvoll, sämtliche Ängste zu überwinden! Die Furcht vor Krankheitserregern etwa hat einen ganz realen Hintergrund und hilft uns, angemessen auf Gefahren zu reagieren. Erst wenn Angstgefühle uns innerlich vereinnahmen oder lähmen, wenn sie die Stimmung verdüstern und zu Dauerbegleitern werden, sollte man etwas dagegen tun.
Reale und krankhafte Angst
„Normale“ Ängste und Sorgen weisen uns auf reale Bedrohungen hin. Pathologische oder „krankhafte“ Ängste dagegen haben oft eher wenig mit echten Gefahren zu tun. Wenn sich die Angst verselbständigt und man sich vor Situationen fürchtet, die für andere Menschen ganz normal sind, spricht man von einer Angststörung. Sie kann in unterschiedlichen Formen auftreten:
- Bei spezifischen Phobien fürchten sich Betroffene vor ganz bestimmten Dingen oder Situationen, etwa vor Höhe, Enge, Spinnen, Schlangen, Hunden, Nadeln, Spritzen oder dem Zahnarzt.
- Bei einer Panikstörung kommt es zu plötzlich auftretenden Anfällen von extremer Angst. Typisch für diese Form der Angststörung sind im Vordergrund stehende körperliche Symptome wie Atemnot und Herzrasen, die Betroffene oft als lebensbedrohlich interpretieren.
- Bei der generalisierten Angststörung weiten sich Angst und Sorgen auf zahlreiche Situationen und Lebensbereiche aus. Betroffene wissen meist, dass ihre Ängste übertrieben sind und machen sich auch Sorgen über ihre andauernde Besorgtheit.
Körperliche Symptome
Sehr oft verursacht eine Angststörung sehr unangenehme körperliche Symptome. Typisch sind Beschwerden wie:
- Herzrasen
- Atemnot, Erstickungsgefühl
- Schwitzen
- Hitzewallungen oder Kälteschauer
- Schwindel oder Benommenheit
- Schmerzen oder Druck in der Brust
- Mundtrockenheit
- Übelkeit oder Bauchschmerzen
- Harn- oder Stuhldrang
- Erröten
Bei der generalisierten Angststörung treten körperliche Symptome oft weniger intensiv, dafür aber anhaltend auf. Betroffene leiden beispielsweise unter chronischen Muskelverspannungen, Magen-Darm-Beschwerden oder Schlafstörungen.
Zunahme von Angststörungen
Eine Auswertung der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) zeigt, dass der Anteil der Patientinnen und Patienten, die wegen einer diagnostizierten Phobie in Behandlung sind, von 2013 auf 2023 um 57 Prozent zugenommen hat.
Die Angst vor Kriegen, sozialen Unruhen und politischen Entwicklungen beeinflusst das Stressempfinden der Deutschen erheblich, ergab eine Online-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag von Swiss Life Deutschland. Demnach fühlte sich die Mehrheit der befragten Personen (58 Prozent) aufgrund ihrer Angst vor Kriegen, sozialen Unruhen und politischen Entwicklungen gestresst. Bei mehr als einem Viertel der Befragten (28 Prozent) führt die Angst vor politischen Krisen sogar zu einem sehr starken oder extrem starken Stressempfinden.
Steigende Lebenshaltungskosten, die Überforderung des Staates durch Geflüchtete sowie unbezahlbares Wohnen in Deutschland sind laut der Studie „Die Ängste der Deutschen 2024“ der R+V die drei größten Ängste der Deutschen. Auch die Angst vor politischem Extremismus und vor der Spaltung der Gesellschaft haben zugenommen.
Professionelle Hilfe
Doch wo verläuft die Grenze zwischen „normaler“ und krankhafter, behandlungsbedürftiger Angst? Die Übergänge können fließend sein. Wer ohnehin zu Ängsten neigt, steckt beunruhigende Nachrichten oft schlechter weg, als jemand in einer stabilen psychischen Verfassung. Professionelle Unterstützung durch einen Arzt oder Psychotherapeuten ist angemessen, wenn:
- Sie große Teile des Tages über Ihre Ängste und Sorgen nachdenken.
- Ihre Lebensqualität sich dadurch deutlich verschlechtert hat.
- Sie aufgrund der Ängste Probleme im Beruf haben.
- Ihre Partnerschaft dadurch belastet ist.
- Sie Ihre Ängste und Sorgen mit Alkohol oder anderen Drogen zu bekämpfen versuchen.
Haben Sie eine Angststörung? Unser Test kann Ihnen einen ersten Hinweis geben.
Normale Ängste überwinden
Bei den meisten Menschen nehmen Ängste zum Glück keinen derart breiten Raum ein. Nicht krankhafte Ängste lassen sich mit diesen Strategien gut auf einem erträglichen Niveau halten oder sogar überwinden:
1. Unsicherheit akzeptieren
Weltpolitik und globale Krisen: Vieles können wir weder selbst kontrollieren noch vorhersehen. Der Wunsch nach absoluter Sicherheit ist zwar verständlich, aber leider Illusion. Das zu akzeptieren ist ein erster Schritt, um Ängste zu überwinden – oder zumindest weniger unter ihnen zu leiden.
2. Aktiv werden
Dennoch gibt es Teilbereiche, die wir beeinflussen können. Viele Menschen benutzen etwa dem Klima zuliebe öfter das Fahrrad oder versuchen, weniger Fleisch zu essen. Andere engagieren sich ehrenamtlich oder mit Spenden. Diese Aktivitäten geben uns das Gefühl der Kompetenz und Handlungsfähigkeit zurück und tragen so dazu dabei, Ängste zu überwinden.
3. Achtsamer Medienkonsum
Zwar hilft es nicht, die Augen vor der Realität zu verschließen. Wer aber ständig und ungefiltert verstörende Nachrichten konsumiert, tut seiner Psyche nichts Gutes. Informieren Sie sich daher über das Geschehen in der Welt, aber vermeiden Sie exzessiven Medienkonsum.
4. Auszeit von der Krise nehmen
Ein gewisses Ausmaß an „bewusster Verdrängung“ fördert die psychische Gesundheit. Gönnen Sie sich daher einen entspannten Kinoabend, ein Treffen mit Freunden, einen Thermenbesuch – oder was auch immer Ihnen Freude macht und positive Gefühle hervorruft.
Hinweis der Redaktion: Dieser Beitrag erschien in der originalen Version am 07. Juni 2022 im SPK Magazin. Wir haben den Text aktualisiert.